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Menschen mit Behinderung einstellen

Menschen mit Behinderung einstellen


Zuletzt aktualisiert: 04. Dezember 2023

Menschen mit Behinderung einzustellen ist auch wegen des Fachkräftemangels eine große Chance. Dagmar Greskamp erklärt, wie Betriebe vorgehen können.

Menschen mit Behinderung zu beschäftigen ist angesichts des Fachkräftemangels eine große Chance für Betriebe. Dagmar Greskamp von der Aktion Mensch erklärt, wie man gezielt nach geeigneten Mitarbeitenden sucht, wo es Unterstützung gibt und wie Führungskräfte sowie Kolleginnen und Kollegen sich im Alltag am besten verhalten.

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Drei Tipps zur Einstellung von Menschen mit Behinderung

1. Inklusion als Chance: Wer Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen beschäftigt, profitiert oft von besseren und innovativen Ideen. Im besten Fall können Sie sogar neue Kundinnen und Kunden gewinnen, wenn Sie entsprechende Vorschläge der Mitarbeitenden umsetzen und Ihr Unternehmen zum Beispiel gemeinsam barrierefrei machen.

2. Hilfe nutzen: Nehmen Sie Unterstützung in Anspruch, um Menschen mit Behinderung noch besser in Ihren Betrieb zu integrieren. Besonders geeignet sind die sogenannten einheitlichen Ansprechstellen. Nähere Infos dazu finden Sie unter bih.de. Auch die Aktion Mensch und das KOFA bieten viele Infos, die Sie kostenfrei nutzen können – unter anderem mit dem Wegweiser Inklusion im Betrieb.  

3. Stellenanzeigen anpassen: Sprechen Sie mit Ihren Stellenanzeigen gezielt Menschen mit Behinderung an. Hilfreich sind Sätze wie "Wir heißen alle willkommen" oder "Wir möchten gerne Menschen mit Behinderung ansprechen". Auch die Bildsprache ist wichtig: Bilden Sie Menschen mit Behinderung authentisch ab.

Dagmar Greskamp Netzwerkerin und Influencerin mit Behinderung, Expertin für Inklusion am Arbeitsplatz

Sie sind Netzwerkerin und Influencerin mit Behinderung, Expertin für Inklusion am Arbeitsplatz und Politikwissenschaftlerin mit zwei akademischen Abschlüssen. Da soll nochmal jemand sagen, Menschen mit Behinderung einzustellen sei keine gute Idee. Sie beweisen doch genau das Gegenteil, oder?

Das könnte man so sagen, ja. Aber es war natürlich auch ein langer Weg, dahin zu kommen, wo ich jetzt bin.

Wie war es denn bisher im Job mit Ihrer Behinderung: War das ein Thema für Ihre Kolleginnen und Kollegen oder die Vorgesetzten?

Eine Zeit lang habe ich mit einer Arbeitsassistenz gearbeitet. Sie hat die Dinge gemacht, die ich nicht selbst machen konnte. Früher musste ich zum Beispiel Papiere von Hand ausfüllen – das kann ich aufgrund der Spastik nicht gut, der Text ist schwer zu lesen. Inzwischen brauche ich deutlich weniger Unterstützung, weil ich alles digital mache. Da merken die Kolleginnen und Kollegen manchmal erst mit der Zeit, dass ich eine Behinderung habe. Es gab aber Situationen, wo ich Unsicherheiten bemerkt habe. Es erschreckt sich auch schonmal jemand, wenn ich plötzlich zucke. Aber das ist normal. Wir lachen dann auch viel. Ich hatte mal lustige Szenen, weil ich einem ehemaligen Kollegen was zugeworfen habe, das dann irrtümlich in der Blumenvase gelandet ist.

Wie verhält man sich als Kollegin oder Kollege optimal?

Ich wünsche mir, dass man mich wie jeden anderen auch behandelt. Ich gehe offen mit meiner Behinderung um. Wenn mich jemand darauf anspricht, spreche ich auch darüber – das ist kein Problem. Hilfe anbieten ist auch immer in Ordnung, auch für Arbeitgeber. Das Einzige, was ich nicht so mag: wenn Leute mich immer wieder darauf ansprechen und mich darauf reduzieren.

Haben Sie das Gefühl, dass behinderte Menschen häufig ausgebremst werden?

Ja, es gibt viele Vorurteile. Nach dem Studium war ich fünf Monate arbeitslos. Das war schon ein Rückschlag, weil ich vorher erfolgsverwöhnt war – mein Studium lief sehr gut, ich war auch zwei Jahre im Ausland. Nach den fünf Monaten bekam ich dann eine Stelle, habe aber unfreiwillig zehn Jahre nur Teilzeit gearbeitet. Wenn man einmal bewiesen hat, wie leistungsfähig man ist, wird es meist besser. Aber häufig bekommt man die Chance zum Einstieg nicht. Deshalb sind die Arbeitslosenzahlen bei Menschen mit Behinderung anhaltend hoch und sie suchen länger nach einer neuen Stelle als Menschen ohne eine Behinderung.

Menschen mit Behinderung sind ein wertvoller Bestandteil des Mitarbeiter-Teams und meist genauso qualifiziert wie Menschen ohne Behinderung. Lesen Sie hier, was Sie bei Beschäftigung oder Ausbildung beachten sollten.

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Haben Sie Tipps für Unternehmen, die noch nie jemanden mit Behinderung eingestellt haben?

Sie sollten eine gewisse Offenheit haben und Vorurteile abbauen. Eine Statistik zeigt, dass viele Behinderungen erst im Laufe des Lebens entstehen. Viele Menschen denken bei Behinderung vorwiegend an Rollstuhlnutzer oder Menschen mit Downsyndrom. Das ist aber nicht der große Teil der Behinderungen. Nur drei Prozent der Behinderungen sind angeboren. Die meisten entstehen im Laufe des Lebens durch Erkrankungen oder Unfälle. Daraus ergeben sich jeweils unterschiedliche Bedürfnisse. Wichtig ist auch, Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten zu nutzen.

Welche Unterstützung gibt es denn?

Wir haben zusammen mit dem KOFA ein schönes Produkt entwickelt, nämlich den Wegweiser Inklusion im Betrieb. Da zeigen wir zum Beispiel, wo man bei der Suche nach Fachkräften ansetzen kann: etwa bei Förderschulen, Regelschulen oder Integrationsfachdiensten. Zudem gibt es die sogenannten einheitliche Ansprechstellen, die neu geschaffen wurden von den Integrationsämtern und Hauptfürsorgestellen. Teilweise sind sie auch bei IHKs oder Handwerkskammern angesiedelt.  

Was machen die einheitlichen Ansprechstellen genau?

Sie begleiten Arbeitgeber bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung, zum Beispiel mit Informationsveranstaltungen. Diese Beratungsstellen sind flächendeckend eingeführt worden. Gerade Betriebe mit 20 bis 50 Mitarbeitenden könnten davon profitieren: Denn von ihnen kennt fast die Hälfte die Fördermöglichkeiten nicht, die sie nutzen können, wenn sie Menschen mit Behinderung beschäftigen. Es gibt zum Beispiel Zuschüsse, um barrierefreie Toiletten zu bauen. Man muss aber auch gar nicht von Anfang an vollständige Barrierefreiheit gewährleisten. Eine Möglichkeit ist, dass Mitarbeitende erstmal im Homeoffice tätig sind.

Auch bei Stellenanzeigen kann man sich besonders an Menschen mit Behinderung richten. Worauf sollten Unternehmen achten?

Sie sollten Stellenanzeigen inklusiver machen. „Wir heißen alle willkommen“ oder „Wir möchten gerne Menschen mit Behinderung einstellen“ sind Sätze, die mich ansprechen. Auch auf die Bildsprache sollte man achten. Kommt jemand mit Behinderung vor? Auf der Karriereseite des Unternehmens könnte man zum Beispiel Menschen portraitieren, die eine sichtbare Behinderung haben und sie berichten lassen, wie sie im Unternehmen angefangen haben, was sie machen und von wem sie Hilfe bekommen haben. Das sollte aber authentisch sein. Jemanden fürs Foto in einen Rollstuhl setzen, der eigentlich gar keinen braucht, finde ich nicht gut.

Warum lohnt es sich auch für kleine und mittlere Unternehmen, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen?

Der Fachkräftemangel spielt natürlich eine Rolle. Unternehmen sollten deshalb Gruppen von Beschäftigten einbeziehen, an die sie früher vielleicht nicht gedacht hätten. Warum nicht einen Menschen mit Behinderung einstellen? Es wird immer problematisiert und als große Herausforderung beschrieben, aber manche kann man vom Fleck weg einstellen, ohne dass die Kolleginnen und Kollegen etwas merken. Die Unternehmen bekommen sehr qualifizierte Mitarbeiter. Es gibt auch viele arbeitslose Akademikerinnen und Akademiker mit Behinderung. Da hilft der Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker der Bundesagentur für Arbeit. Grundsätzlich gilt: Unternehmen sollten die Vielfalt der Gesellschaft abbilden. Arbeit ist ein Menschenrecht, verankert in der UN-Behindertenrechtskonvention. 

Wir danken Dagmar Greskamp für das Gespräch.

Hören Sie das ganze Interview in der Podcast-Folge "Inklusion – Eine Bereicherung für Unternehmen". 

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