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Neue (Arbeits-)zeiten, neue Herausforderungen

Neue (Arbeits-)zeiten, neue Herausforderungen


Zuletzt aktualisiert: 07. Oktober 2020

Interview mit Dr. Andrea Hammermann, sie forscht am Institut der deutschen Wirtschaft zu den Themenfeldern Arbeitsbedingungen und Personalpolitik

Was es für Führungskräfte bei der Einführung neuer Arbeitszeitmodelle zu beachten gibt

Wann ist es für Unternehmen sinnvoll, ihr aktuelles Arbeitszeitmodell anzupassen? 

Andrea Hammermann: Das Arbeitszeitmodell sollte in erster Linie zum Aufgabenbereich passen. Veränderungsbedarf besteht also immer dann, wenn beispielsweise eine stärkere Auslastung der Produktionskapazitäten neue Anforderungen an die Schichtplanung stellt oder Service- und Öffnungszeiten dem veränderten Kundenverhalten angepasst werden müssen. Je genauer Führungskräfte die Zeiten zur Abdeckung der Funktionsfähigkeit ihres Bereichs definieren, umso stärker werden Spielräume deutlich, um den Bedürfnissen der Beschäftigten nach Zeitsouveränität entgegenzukommen.

Andrea Hammermann Portrait

Dr. Andrea Hammermann forscht am Institut der deutschen Wirtschaft zu den Themenfeldern Arbeitsbedingungen und Personalpolitik. Im Experten-Interview zeigt Sie auf, warum die Einführung neuer Arbeitszeitmodelle immer auch „Chef-Sache“ ist.  

Dr. Andrea Hammermann

Welche Tipps können Sie Führungskräften geben, um den Übergang von „klassischen Arbeitszeiten“ zu einem „flexibleren Arbeitszeitmodell“ zu managen?  

Andrea Hammermann: Zeit ist eine knappe Ressource, daher bleiben Konflikte bei der Arbeitszeitgestaltung nicht aus. Die Konfliktlinie verläuft nicht ausschließlich zwischen Arbeitgeber- und Beschäftigteninteressen. Auch unter den Beschäftigten gibt es oftmals unterschiedliche Präferenzen – beispielsweise zwischen Morgenmuffel und Frühaufsteher, wenn es um den Beginn des Meetings geht. Auch externe Zeitanforderungen beispielsweise durch Öffnungszeiten der Kita oder dem Fahrplan des Nahverkehrs im ländlichen Raum, können für die betriebliche Arbeitszeitgestaltung relevant sein. 

Die Wünsche zu Beginn eines Arbeitszeitprojekts sind daher in der Regel vielfältig. Die Erfahrung zeigt, dass je genauer das zu lösende Problem und der angestrebte Sollzustand definiert werden, umso größer sind die Erfolgsaussichten. Für die Lösungsfindung ist es hilfreich, wenn Führungskräfte sich einen Überblick verschaffen, welche Arbeitszeitmodelle es gibt. Für die erfolgreiche Umsetzung sollten Mitarbeitende und ihre Interessensvertretung aktiv einbezogen werden. Das schafft Akzeptanz für die geplante Veränderung. 

Erfordern unterschiedliche Arbeitszeitmodelle (z.B. Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeitkonten) unterschiedliche Führungsstile?  

Andrea Hammermann: Gleitzeitmodelle erlauben den Beschäftigten, Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit außerhalb der Kernarbeitszeit zu variieren, um beispielsweise einen Arzttermin wahrnehmen zu können oder auch Freitagnachmittag früher ins Wochenende zu gehen. Häufig werden Gleitzeiten mit einem Ampelkonto verbunden, welches anzeigt, ob die Plus- und Minusstunden sich in einem vertretbaren Rahmen bewegen. Ist dies nicht der Fall, muss die Führungskraft das Gespräch suchen und hinterfragen, ob die Arbeitsbelastung zu hoch ist und Aufgaben umverteilt werden müssen.

Je mehr Flexibilität das Arbeitszeitmodell bietet, umso stärker muss der Einzelnen sich selbst organisieren und dabei vieles im Blick haben wie den Arbeits- und Gesundheitsschutz, betriebliche Anforderungen und die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen. Wenn dies gut funktioniert, werden Führungskräfte in ihre Kontrollfunktion entlastet und sie erhalten mehr zeitlichen Spielraum für anderer Führungsaufgaben. Funktionieren die Absprachen im Team nicht, ist hingegen mehr Führungspräsenz gefragt und der Koordinationsaufwand steigt.   

„Vertrauenskultur entsteht nicht von allein“

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Was sind die häufigsten Schwierigkeiten bei der Umsetzung neuer Arbeitszeitmodelle? 

Andrea Hammermann: In der Planungsphase scheitern (Arbeitszeit-)projekte häufig daran, dass das Ziel und der Sollzustand nicht eindeutig formuliert werden. Oftmals gibt es viele Baustellen und es fehlt der Mut, klar zu benennen, was aktuell wichtig ist und was zurückgestellt werden muss. 
Kommunikation ist wie so oft der Schlüssel zum Erfolg, und zwar über den gesamten Projektverlauf hinweg. Kritisch ist beispielsweise, wenn keine Rückmeldung an die Belegschaft erfolgt, wie die in Befragungen oder Arbeitstreffen geschilderten Probleme angegangen werden oder aus welchen Gründen dies nicht möglich ist.  

Welche (neuen) Anforderungen werden an Führungskräfte gestellt, wenn Unternehmen eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung zulassen? 

Andrea Hammermann: Zuerst einmal stellt sich die Frage, wer durch die Arbeitszeitgestaltung an Flexibilität gewinnt. Bereitschaftsdienste, die reaktionsschnell auf Kundenanfragen reagieren, bedeutet ein hohes Maß an betrieblicher Flexibilität. Teilzeitmodelle haben in der Regel den Anspruch, dass Beruf und Familie miteinander gut vereinbart werden können. Zu beachten ist auch, dass die Flexibilität des einen, möglicherweise eine zeitliche Restriktion für den anderen darstellt, der bspw. unliebsame Zeiten im Telefondienst abdecken muss.

Flexible Arbeitszeitgestaltung bedeutet daher vor allem ein Austarieren verschiedener Interessenlagen und Anforderungen. Dafür braucht es Absprachen im Team und bilateral zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften. Für eine verantwortungsvolle Ausgestaltung der Arbeitszeit durch die Beschäftigten ist es wichtig, dass Führungskräfte ihre Erwartungshaltung über Erreichbarkeiten deutlich machen und auch selbst als Vorbilder agieren und auf Pausen und Erholungszeiten achten.  

Welche Erfolgsrezepte können Sie in der Praxis beobachten, damit neue Arbeitszeitmodelle in der Praxis gelebt werden? 

Andrea Hammermann: Die aktuelle Krisensituation der Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Betriebe in der Lage sind, sich auch in puncto Arbeitsorganisation sehr schnell auf notwendige Änderungen einzustellen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Arbeit im Homeoffice, ohne die viele Beschäftigte in Zeiten des Lockdowns kaum arbeitsfähig gewesen wären. Das erzwungene Experiment hat bei Führungskräften und Beschäftigten Vorbehalte abgebaut, aber auch gezeigt, was es für eine nachhaltig erfolgreiche Umsetzung braucht, damit Zusammenarbeit auch dezentral gut funktionieren kann.

Selbst die beste Analyse möglicher Vor- und Nachteile des Arbeitszeitmodells kann Erfahrungen nicht ersetzen. Gerade bei so sensiblen Themen wie der Arbeitszeitgestaltung braucht es immer auch den Mut, etwas Neues auszuprobieren. Daher empfehlen wir neue Arbeitsmodelle in Pilotbereichen und über einen gewissen Zeitraum erst einmal zu testen, um aus diesen Erfahrungen zu lernen. 

Wir danken Andrea Hammermann für das Gespräch!