Skip to content
Status quo im Gastgewerbe

Status quo im Gastgewerbe


Zuletzt aktualisiert: 08. Dezember 2021

Sandra Warden, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, erläutert im Interview die Fachkräftesituation im Gastgewerbe und zeigt Ausbildungspotenziale auf.

Sandra Warden ist Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (DEHOGA Bundesverband) und Expertin für die Themenbereiche Fachkräftesicherung und Ausbildung. Das Interview gibt die Situation Anfang Dezember 2021 wieder.

Beitrag teilen:

Anmerkung KOFA: Im Mai 2021 konnten Gastronomien und Hotelbetriebe endlich unter Auflagen wieder öffnen. Doch trotz staatlicher Zuwendungen konnten viele Unternehmen Teile der Belegschaft während der Corona-Pandemie nicht halten. 

Frau Warden, wie schätzen Sie die derzeitige Fachkräftesituation in Ihrer Branche ein?

Warden: Die Fachkräftesituation im Gastgewerbe ist sehr angespannt. Wir hatten auf dem Höhepunkt der Corona-Zeit fast 15 Prozent unserer sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verloren und einen noch viel größeren Anteil an Minijobberinnen und Minijobbern, da diese bekanntermaßen nicht kurzarbeitergeldberechtigt sind. Das war ein erheblicher Aderlass. 

Viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind aufgrund der großen Unsicherheit und der finanziellen Einbußen abgewandert. Auch konnten Betriebe zum Teil befristete Verträge nicht verlängern und Neueinstellungen in Kurzarbeit nicht vornehmen. Zudem durften ausländische Fachkräfte über Monate hinweg aufgrund der Einreisebeschränkung nicht einreisen. Und all das zusammen hat zu einer sehr angespannten Lage geführt. Über den Sommer und im Frühherbst ist es uns gelungen, die Beschäftigung wieder stark und schnell hochzufahren, seit August 2021 liegen wir wieder bei mehr als einer Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigter.

Jetzt zu Winterbeginn werden wir von der vierten Corona-Welle und erneuten massiven staatlichen Einschränkungen überrollt, die Kurzarbeit geht wieder in die Höhe und die Zukunftsangst wächst erneut, auch weil der finanzielle Schutzschirm über Unternehmen und Beschäftigte bisher noch nicht aufgespannt wurde. Das macht es wieder sehr schwer, sich zukunftsgerichtet mit Personalthemen zu beschäftigen. Aber eins ist für uns ganz klar: Das Thema Fachkräftesicherung ist für uns mittel- und langfristig ein Metathema und hat für die Branche Priorität. 
Der Fachkräftemangel war auch vor Corona schon eine große Thematik in der Branche. Eine enorme Herausforderung, weil wir – mit über 30 Prozent Beschäftigungswachstum innerhalb der letzten zehn Jahre – so stark gewachsen sind. 

Wie haben Sie die bisherige Corona-Zeit im Hinblick auf die duale Ausbildung in der Branche erlebt?

Warden: Die duale Ausbildung im Gastgewerbe hat massiv gelitten. Im Jahr 2020 sank die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 25 Prozent in den sechs gastgewerblichen Berufen, also ein Viertel weniger als im Vorjahr. Wenn man weiß, dass die duale Ausbildung für unsere Branche das Hauptreservoir für Fachkräfte bildet, dann sieht man, was das für ein Einschnitt war. Und 2021 wird nicht besser sein. Über diese beiden Jahre werden uns dann acht-, neun-, vielleicht sogar zehntausend Auszubildende fehlen. Das macht die Fachkräftesicherung in unserer Branche nicht leichter, denn jeder Auszubildende, der fehlt, ist eine zukünftige Fachkraft, die fehlt. 

Dazu kommt, dass anderthalb Jahre lang über die existenzielle Notlage des Gastgewerbes berichtet wurde. Das haben alle mitbekommen: die Jugendlichen, die Eltern, die Lehrkräfte und die Mitarbeitenden in den Arbeitsagenturen. Dadurch entstehen Zweifel. Sind diese Ausbildungsplätze und die Jobs sicher? Wir als Branche sind davon überzeugt, dass wir attraktive Zukunftsperspektiven für junge Menschen bieten und versprechen können. Auch weil wir auf der anderen Seite durch Corona sehen, wie attraktiv Inlandstourismus und ein sicherer Urlaub in Deutschland sind. 

Welche Maßnahmen ergreifen Sie derzeit, um die duale Ausbildung zu fördern? 

Warden: Die Branche betreibt intensiv Nachwuchs-Marketing. Besonders viel passiert in unseren Landesverbänden, weil wir stark föderal strukturiert sind. Da gibt es einige echte Leuchtturmprojekte und Unternehmen, die mit sehr viel Aufwand und sehr viel Kraft ins Nachwuchs-Marketing gehen und versuchen, die Jugendlichen und auch ihre Eltern direkt zu erreichen. 

Können Sie Leuchtturmprojekte genauer beschreiben?

Warden: In Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern fahren z. B. Gastromobile durch das ganze Land, in denen Jugendliche die Arbeit in der Branche spielerisch erfahren können. Brandenburg und Sachsen führen Azubi-Dinner durch, bei denen Jugendliche und Eltern sich über die Ausbildung informieren und mit Unternehmern und Auszubildenden sprechen können. Bei den Miniköchen, die in mehreren Ländern gibt, lernen 10-11-jährige Kinder zwei Jahre lang Kochen und Ernährung und werden so an die Branche herangeführt. Viele unserer Betriebe sind im ländlichen Raum, das ist Stärke und gleichzeitig Herausforderung. Dass im Moment vieles nur virtuell möglich ist, ist für unsere vom persönlichen Miteinander geprägte Branche besonders schwer. 

Was können Ausbildungsbetriebe konkret für Ihre Auszubildenden tun?

Warden: Unsere Branche ist unglaublich bunt und deshalb sind auch die Nachwuchsaktivitäten der Betriebe vielfältig. Ich halte für zentral, dass man Auszubildenden das Gefühl vermittelt, wichtig zu sein und wertgeschätzt zu werden. Die besten Botschafter für Ausbildung sind motivierte Azubis. Schöne Projekte sind deshalb beispielsweise Azubi-Tage, an denen die Auszubildenden selbst für einen Tag das Restaurant „schmeißen“. Oder sie erhalten die Verantwortung für eine Veranstaltung, die sie allein organisieren und zu der sie vielleicht auch ihre Eltern und Freunde einladen dürfen. So können sie zeigen, was sie gelernt haben und worauf sie stolz sind. 

Großartig ist auch, Aspekte zu vermitteln, die nicht im Ausbildungsrahmenplan vorgeschrieben, aber dennoch wichtig für die individuelle Entwicklung der Auszubildenden sind: Bei Produzenten reinschnuppern, vom Bauernhof über den Imker bis zur Fleischerei. So bekommen die Azubis ein Gespür für die Produkte und ihren Wert. Auch ein Messebesuch kann den Horizont erweitern, indem man sich mit den aktuellen Trends der Branche vertraut macht.  
Besonders klasse finde ich, wenn Auszubildende die Möglichkeit bekommen, bereits während ihrer Ausbildung internationale Erfahrungen zu sammeln. Internationale Lebensläufe sind in der Branche üblich. Während der Ausbildung sind Auslandsaufenthalte jedoch noch eine Seltenheit. Azubis finden es großartig, wenn sie die Möglichkeit bekommen, für ein paar Wochen an einem Austausch teilzunehmen oder in einem befreundeten Betrieb im Ausland mitzuhelfen. Das Netzwerk ist in unserer Branche unheimlich wichtig.  

Wie unterstützt der DEHOGA-Bundesverband die duale Ausbildung? 

Warden: Als DEHOGA-Bundesverband versuchen wir, die Strukturen der Ausbildung so zu sichern und zu verbessern, dass die Ausbildung und die Ausbildungsberufe attraktiv und zukunftssicher sind. 
Zwei aktuelle Projekte möchte ich besonders hervorheben. Wir stecken seit geraumer Zeit in einem Mammut-Projekt, denn wir ordnen alle gastgewerblichen Ausbildungsberufe neu. Das wird dazu führen, dass wir im nächsten Jahr diese dann wirklich runderneuerten, komplett modernisierten und neu aufgestellten Ausbildungsberufe neu promoten können. 

Das zweite Thema ist eine, wie ich finde, ganz tolle Initiative zum Thema Ausbildungsqualität, nämlich das Zertifikat „TOP-Ausbildungsbetrieb“. Für dieses Zertifikat haben wir alle bisherigen regionalen Initiativen zusammengeführt. Trotz der angespannten Lage konnten derzeit schon fast 300 Ausbildungsbetriebe erfolgreich zertifiziert werden. Ein sehr schönes Zeichen, wie ich finde. 

Können Sie uns noch weitere Informationen zu der Zertifizierung geben? 

Warden: Die Betriebe bewerben sich und müssen im Rahmen von zwölf Leitsätzen detaillierte Angaben zu ihrem Ausbildungsmanagement machen. Dabei müssen Sie eine Mindestpunktzahl erreichen. Das Besondere ist dann, dass die Angaben nicht durch einen externen Prüfer, sondern durch eine anonyme Befragung der eigenen Azubis validiert werden. Erst, wenn diese die Angaben des Betriebes bestätigen, gibt es das Zertifikat.
Dies ist besonders schön, zum einen, weil damit diejenigen entscheiden, um die es geht – die Auszubildenden selbst. Zum anderen, weil es in unserer Branche viele kleine Ausbildungsbetriebe gibt. Die bisherigen Zertifizierungen richteten sich vor allem an größere Betriebe, weil Zertifizierungen teuer und aufwendig sind und ein echtes Qualitätsmanagement voraussetzen. Wir wollten etwas, was für die Breite der Branche umsetzbar ist – ohne dabei den Qualitätsanspruch zu reduzieren. Das haben wir geschafft: Rund 30 Prozent unserer TOP-Ausbildungsbetriebe haben weniger als vier Azubis. 

Mehr Informationen zu dem Zertifikat „TOP-Ausbildungsbetrieb“ erhalten Sie hier TOP-Ausbildungsbetrieb » Das Qualitätssiegel des DEHOGA

Wir danken Frau Warden für das Gespräch.