
Transkript: Folge 96
KOFA auf dem Sofa "Remote Work und Homeoffice in KMU": Wie viel Nähe braucht Führung?
Einspieler:
KOFA auf dem Sofa.
Fachleute für Fachkräfte.
Dein Podcast für bessere Personalarbeit im Mittelstand.
Mit Sibylle Stippler und Cliff Lehnen.
Cliff:
Liebe Hörerinnen und Hörer von KOFA auf dem Sofa, ihr habt richtig gehört. Hier spricht Cliff Lehnen, und es ist die neue Folge unseres kleinen Podcasts für ambitionierte Personalarbeit in kleinen und mittleren Unternehmen.
Ich heiße euch herzlich willkommen und muss leider direkt vorwegschicken, dass meine geschätzte Kollegin Sibylle Stippler heute aus persönlichen Gründen leider nicht bei uns sein kann. Liebe Sibylle, wir grüßen dich herzlich, drücken die Daumen für alles, was gerade so passiert, und freuen uns, wenn du bald wieder an meiner Seite bist.
KOFA auf dem Sofa – das heißt ja, dass wir nicht alleine hier sitzen, Sibylle und ich, und in dem Fall ich auch nicht ganz alleine. Nein, ich hab einen Mann an meiner Seite – heute zumindest virtuell zugeschaltet. Und dem kann ich gleich zu vielen Dingen gratulieren, denn er ist nicht nur jüngst ausgezeichneter Spiegel-Bestsellerautor mit seinem neuesten Werk „Die Psychologie der Macht“ – das liegt hier neben mir –, nein, er ist auch in diesen Tagen wieder von den Kolleginnen und Kollegen des Personalmagazins unter die 40 führenden Köpfe im Personalwesen im deutschsprachigen Raum gezählt worden.
So ist es vielleicht richtig ausgedrückt. Und das ist er zum dritten Mal – nach 2021, 2023 und auch in diesem Jahr 2025. Also: Wir haben einen Mann von berufener Stelle. Er ist Professor an der SRH Hochschule in Berlin, er ist Wirtschaftspsychologe, und sein Name ist Professor Dr. Carsten Schermuly.
Herzlich willkommen bei uns auf dem KOFA-Sofa, lieber Carsten.
Carsten:
Vielen Dank für die Einladung.
Cliff:
Carsten, wir haben dich heute eingeladen, weil eigentlich deine letzten drei Bücher… Wir möchten uns an der Schnittstelle der Themen, die du da behandelt hast, mit dir unterhalten.
Und zwar: Du hast zunächst über die New-Work-Utopie geschrieben, dann hast du über die Dystopien, die sich aus New Work ergeben können, geschrieben – und jetzt zuletzt hast du über die Psychologie der Macht geschrieben.
Und wir wollen mit dir sprechen über die Frage: Wie hat sich eigentlich die ganze Frage des Remote Work entwickelt, das Homeoffice entwickelt, und was hat das eigentlich alles mit Machtspielen und organisierten – mhm – ja, Seilschaften zu tun?
Das werden wir heute mal ein bisschen aus Sicht der KMU erörtern. Bist du dazu bereit?
Carsten:
Gut, bereit.
Cliff:
Perfekt. Du kennst unseren Podcast ein wenig – wir werden einsteigen mit unserer beliebten Einstiegsrubrik, nämlich dem Couchgeflüster. Du erkennst es schon an der angenehmen Fahrstuhlmusik, die hier im Hintergrund erklingt.
Und wir steigen ein mit der Frage: „Das bin ich in drei Worten.“
Carsten:
Familienmensch. Psychologe. Kaninchenbesitzer.
Cliff:
Kaninchenbesitzer – das heißt, du hast so ’n Stall im Garten?
Carsten:
Tatsächlich. Und das sind eigentlich die Kaninchen meiner Kinder. Die haben ja auch damals hoch und heilig versprochen, im Urlaub, dass sie da fleißig sind und den sauber machen und dass das ihre Kaninchen sind. Aber mittlerweile sind das meine geworden, und die Kinder haben sich da etwas zurückgezogen. Und jetzt mach ich die Kaninchen sauber – und sie sind mir ans Herz gerückt.
Cliff:
Apropos Kinder – das wollte ich als Kind werden.
Carsten:
Kaninchenbesitzer? Oder Kardiologe? Oder was?
Cliff:
Okay, kein Feuerwehrmann, kein Fußballstar?
Carsten:
Ich wollte eigentlich Lehrer werden. Ich komme aus einer nicht akademischen Familie. Die Lehrerinnen und Lehrer waren so der erste Kontakt mit der akademischen Welt, und ich war total fasziniert davon, dass man so viel wissen kann und dass man so Menschen auch Wissen beibringt. Das fand ich total schön, und das ist relativ lange mein Berufswunsch geblieben.
Cliff:
Naja, es ist ja auch nicht so weit weg davon jetzt geendet. Der Professor hat ja auch etwas Lehrerhaftes an sich.
Wenn ich nicht arbeite, dann…
Carsten:
…unbezahlt weiter. Das ist erstmal normal – dass man dann zu Hause aufräumt, die Kinder zum Tennis bringt oder zum Geigenunterricht, die Kaninchen sauber macht. Und wenn dann noch was an Zeit übrig bleibt, ist es schon ein bisschen jahreszeitenabhängig.
Also: Wir wohnen hier draußen auf dem Dorf, und früher ist die Gartenarbeit, die ich wirklich gerne mache, die mir auch gut tut… Im letzten Sommer gehe ich gern schwimmen – das ist so eine Sache, die ich gerne außerhalb der Arbeit mache. Ich geh auch gern wandern. Ich spiele gerne – also wir spielen gern Cluedo oder Monopoly oder solche Sachen. Das gefällt mir gut.
Also sehr langweilige Hobbys. Ich lese manchmal so Zeitungen, die Hobbys von DAX-Vorständen zeigen – und die machen immer so aufregende Sachen wie Paragliding oder was weiß ich für Extremtouren. Bei mir überhaupt nicht. Also ich bin eher niedriges Sensation Seeking. Ich finde, mein Alltag im Beruf ist schon anstrengend genug, und deswegen hab ich da eher ruhigere Hobbys, glaube ich.
Cliff:
Als DAX-Vorstand müsstest du ja auch schon um fünf Uhr morgens joggen gehen, damit du dein Marathonziel erreichen kannst.
Gut, nehmen wir uns nochmal mit in deinen Arbeitsalltag – drei Dinge, ohne die ich nicht arbeiten kann.
Carsten:
Gehirn. Laptop. Stabiles WLAN.
Cliff:
Und damit gehen wir auch schon sozusagen in unsere tatsächlichen Themen rüber. Gehirn, Laptop und stabiles WLAN – das klingt ja fast schon nach Homeoffice, oder? Das ist eine schöne moderative Brücke.
Carsten:
Weiß nicht, ob man vor Ort etwas nicht gebrauchen kann. Ich denke mal, das verbindet beide Orte – dass gewährleistet sein muss, dass man gewisse Technik, ein gewisses Gehirn und eine gewisse Datenbandbreite braucht.
Cliff:
Pass auf – also wir wollen ja mal so ein bisschen das Thema Remote Work, Homeoffice und Ähnliches reflektieren. Wir erinnern uns: Vor fünf Jahren hat das ganze Thema sprunghaft zugenommen, wir hatten eine große Entwicklung in diese Richtung.
Und jetzt haben wir so im letzten halben, dreiviertel Jahr teilweise ja spektakuläre Rückholaktionen gesehen – insbesondere in den Großkonzernen –, dass alle plötzlich ihre Mitarbeitenden in den Offices wieder sehen wollen.
Das muss natürlich auch bei unseren Hörerinnen und Hörern in KMU, die teilweise ja auch die Möglichkeit haben, Menschen remote arbeiten zu lassen – nicht jedes KMU hat das, aber einige haben es – die Frage aufwerfen:
Wie viel Präsenz brauche ich denn jetzt eigentlich?
Wie viel Homeoffice ist sinnvoll?
Wie schaust du da erstmal persönlich drauf – und was weiß man als Wissenschaftler inzwischen zu diesen Themen?
Carsten:
Ich finde erstmal spannend, dass sich dieser Begriff Homeoffice oder Heimarbeit über Jahrhunderte auch in seiner Bedeutung ein bisschen verändert hat. Für mich ist das erstmal eine Methode aus dem Mittelalter, dadurch, dass Menschen halt früher zu Hause gearbeitet haben.
Meine Vorfahren kommen aus dem vorderen Hintertaunus, die haben da viele hundert Jahre gelebt. Das waren Handwerker, die sind halt morgens runtergegangen in ihre Werkstatt – heute würde man das Shopfloor nennen –, mittags hoch und haben da Bohnensuppe gegessen. Also das ist erstmal nichts furchtbar Neues.
Dann kam die Industrialisierung und hat die Leute an einem Arbeitsort vereinigt. Und selbst da gab es auch die Heimarbeit. Die wurde sehr stark von den Gewerkschaften bekämpft. Heimarbeit bedeutete vor allem, dass man Rohstoffe nach Hause geliefert bekam und dann am Webstuhl arbeiten und gleichzeitig Kinder betreuen musste. Das waren sehr, sehr schlechte Arbeitsbedingungen. Deswegen wurde da stark dagegen gekämpft und sie wurde nach und nach reduziert.
Und dann – auf einmal – in den 1980er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat das wieder nach und nach ein bisschen Aufwind bekommen. Da hieß es dann Telearbeit und hatte total viel Status – genau das Gegenteil von früher. Wenn ich in den 80ern oder 90ern einen Computer hatte und von zu Hause arbeiten durfte, vielleicht einen Tag die Woche, dann war das tatsächlich etwas, das sehr, sehr viel Status gebracht hat.
Dann kam die Pandemie – und dann wurde das relativ flächendeckend ausgerollt. Also das ist so ein bisschen die historische Einordnung: Es ist nichts, was jetzt so dramatisch neu ist.
Dadurch, dass es schon relativ lange praktiziert wird, gibt es auch relativ viele Forschungsergebnisse dazu. Da muss man ein bisschen unterscheiden zwischen der Individualebene – also was macht das bezogen auf den Menschen –, der Teamebene – was macht das mit den Teams – und der Organisationsebene – was macht das insgesamt mit den Organisationen.
Cliff:
Mhm. Lass uns zunächst auf die Organisation schauen. Denn wir haben ja jetzt unter unseren Hörerinnen und Hörern beispielsweise Geschäftsführerinnen von KMU, Personalleiterinnen von KMU. Und die fragen sich natürlich:
Okay, wie ist das jetzt? Gibt es den goldenen Schnitt zwischen Remote und Präsenz? Haben wir da mittlerweile aus den letzten Jahren auch Erkenntnisse, die wir ganz konkret auch in KMU umsetzen können?
Carsten:
Die Organisationsebene setzt sich ja zusammen aus der Individualebene und den Teams – das ergibt letztlich die Ergebnisse der Organisation. Deswegen würde ich vielleicht doch eher unten anfangen.
Also auf der Individualebene haben wir eigentlich zwei Effekte, die besonders dominant sind und die auch auf eine gewisse Art und Weise miteinander assoziiert sind.
Das ist auf der einen Seite, dass die Homeoffice-Arbeit mit mehr Autonomie assoziiert ist – also dass Menschen, wenn sie im Homeoffice sind, mehr Autonomie verspüren. Und das ist etwas Gutes. Das hat positive Effekte, beispielsweise für die Arbeitszufriedenheit.
Das zweite ist, dass aber gleichzeitig auch die soziale Isolation zunimmt. Das heißt, das ist der negative Effekt, den wir haben – dass Menschen nicht gewünscht alleine sind. Es gibt ja auch eine gewünschte Einsamkeit, aber hier fühlen sie sich sozial isoliert. Und das hat wiederum negative Effekte, zum Beispiel auf das psychische Wohlbefinden.
Wenn man sich in Metaanalysen anschaut, welcher Effekt eigentlich stärker ist, dann ist das der der Autonomie. Der positive Effekt der Autonomie ist stärker als der der sozialen Isolation.
Also haben wir insgesamt auf der Individualebene positive Effekte: Menschen, die im Homeoffice arbeiten, haben mehr Arbeitszufriedenheit, mehr psychisches Wohlbefinden, mehr Commitment an die Organisation – und auch die Leistung wird, auch aus der Perspektive der Führungskräfte, stärker eingeschätzt. Insgesamt also positive Effekte, wenn man das über viele, viele hundert Studien gleichzeitig betrachtet.
Aber: Diese Effekte sind winzig. Total kleine Effekte. Wir sind da in einem Bereich der Varianzaufklärung von zwei, drei, vier, fünf Prozent – also ein minimaler Anteil der Arbeitszufriedenheit wird durch den Grad an Homeoffice-Stunden oder -Tagen erklärt. Das heißt: Auf der Individualebene ist das etwas, was fast zu vernachlässigen ist, weil die Effekte so klein sind.
Wenn man noch ein bisschen genauer in die Studien hineinschaut, sieht man aber relativ schnell: Es kommt halt darauf an, welche Tätigkeiten gemacht werden müssen.
Es gibt eine schöne Studie mit Polizistinnen und Polizisten. Wenn die zu Hause Streife laufen müssten, hätten sie natürlich eine total schlechte Arbeitsleistung. Wenn sie aber Bürokratiearbeit zu erledigen haben, dann steigert sich bei ihnen die Arbeitsleistung sehr stark, wenn sie das zu Hause machen dürfen – also wenn sie in Ruhe zu Hause arbeiten können und die Voraussetzungen dafür haben. Dann sind sie wesentlich effizienter in ihren Berichten.
Das hat auch damit zu tun, dass wir am Arbeitsplatz nicht immer gute Arbeitsbedingungen haben. Sie haben dort meistens keinen ruhigen Ort, wo sie ihre Berichte schreiben können, und das führt dann vor Ort dazu, dass man nicht so gut arbeiten kann.
Also: Auf der Individualebene eher kleine Effekte. Und wenn man in die Studien reinschaut, sieht man häufig – es kommt halt darauf an, welche Tätigkeit gerade bewerkstelligt werden muss.
Auf der Teamebene haben wir eher negative Effekte. Beispielsweise ist die Kreativität, die im Team entsteht, etwas niedriger, wenn die Menschen virtuell zusammenarbeiten müssen. Da scheint Begegnung ein wichtiger Punkt zu sein – wenn ich eine Kreativitätsphase habe, wenn ich nicht einfach wie der Polizist einen Bericht abtippen muss, sondern beispielsweise kreativ herausfinden soll…
Cliff:
Wer war der Mörder?
Carsten:
Oder die Designer, die sich austauschen müssen – „Wie gestalten wir jetzt vielleicht auch die Homepage neu?“
Was auf der Teamebene auch eine große Rolle spielt, ist die Führung. Und das erklärt vielleicht auch, warum manche Führungskräfte sich in ihrer Einschätzung von Homeoffice unterscheiden – also warum sie das weniger wertschätzen.
Es macht halt Mehraufwand. Führungskräfte haben einfach deutlich mehr zu tun durch Homeoffice, bekommen das aber selten budgetiert – also zeitlich. Dass man nach Corona zum Beispiel bei gleicher Teamgröße sagt: „Okay, die arbeiten jetzt virtuell zusammen, dafür bekommst du als Führungskraft drei, vier Stunden mehr pro Woche für Führungsarbeit“ – das passiert selten. Das heißt: Es kommt bei Führungskräften einfach obendrauf.
Also erhöhte Koordinationsaufwände, mehr Kommunikationsaufwand, Konfliktklärung oder auch technischer Support – all das fällt zusätzlich an.
Cliff:
Mhm.
Carsten:
Und auf der organisationalen Ebene ist es tatsächlich so, dass wir – wenn wir viele, viele hundert Unternehmen untersuchen – eher keine negativen Effekte sehen. Vielleicht sogar leicht positive.
Für die Innovationsleistung finden wir keinen Effekt, für die Organisationsleistung eher einen positiven. Wenn Menschen die Möglichkeit haben, im Homeoffice zu arbeiten, und diese Möglichkeit auch nutzen, dann ist das tendenziell korreliert mit etwas höherer Organisationsleistung.
Aber auch hier reden wir von winzigen Effekten – wirklich klein. Wir liegen bei einer Korrelation von 0,10 oder 0,11. Also insgesamt wird das Thema sehr heiß gekocht, obwohl man empirisch sagen muss: Eigentlich haben wir in Deutschland andere Probleme. Die Produktivität geht an anderen Stellen verloren – nicht beim Thema Homeoffice.
Cliff:
Viel Lärm um etwas, das evidenzmäßig gar nicht so stark nachzuweisen ist.
Dann aber lass uns doch genau an diese Schnittstelle deiner Themenwelten gehen. Wir haben jetzt über Remote Work gesprochen – lass uns über das Thema Macht reden. Wenn ich mir anschaue, welche Diskussionen sich bis in höchste politische Ämter um diese Themen drehen – ob ich Menschen jetzt ins Homeoffice lasse oder nicht –, und was wir da unter Managern teilweise für einen geradezu zwanghaften Trieb sehen, Mitarbeitende zurückzuholen:
Ist das nicht vielleicht sogar der Nukleus eines Machtverlusts klassischer Führung, wo man das Gefühl hat, keinen Zugriff mehr auf die Mitarbeitenden zu haben?
Carsten:
Vor allem ist das aus einer unternehmerischen Perspektive gar nicht so sinnvoll. Denn auch da liegen mittlerweile ziemlich gute Daten vor.
Wir wissen, was passiert, wenn Menschen sehr kurzfristig und „brutal“ zurückgeholt werden – also wenn auf einmal die Ankündigung kommt: „Ihr dürft jetzt nicht mehr vier Tage zu Hause arbeiten, sondern nur noch einen Tag – oder gar nicht mehr.“
Wir wissen, was dann passiert: Menschen fallen in emotionale Erschöpfung. Das ist etwas, das sie wirklich fertig macht. Viele haben vertraglich oder zumindest im Einstellungsgespräch zugesichert bekommen, dass sie mehrere Tage von zu Hause arbeiten können. Ihr Wohnort, ihr familiäres System – all das ist darauf eingestellt.
Wenn man das dann abrupt ändert, ist das erschöpfend. Hinzu kommen Pendelzeiten und zusätzliche Belastungen.
Das ist das eine. Das andere: Wir wissen aus Studien, dass in solchen Fällen das Commitment abnimmt – Menschen strukturieren um, sie wechseln. Und das sind nicht die Low Performer, die gehen, sondern eher die gut ausgebildeten, erfahrenen Leute, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind.
Der dritte Punkt: Die Produktivität verändert sich einfach nicht. Es gibt keinen Unterschied in den Studien – egal ob Menschen mehr Freiheiten im Homeoffice hatten oder wieder ins Büro zurückgezwungen wurden. Das bringt keine höhere Produktivität, erzeugt aber neue Kosten: zum Beispiel, weil man wieder große Büroräume braucht, die oft gar nicht mehr vorhanden sind.
Viele sehen außerdem nicht, dass Vor-Ort-Arbeit nicht automatisch die beste Arbeitsform ist – weil auch dort nicht immer die besten Arbeitsbedingungen herrschen. Am Arbeitsplatz gibt es Ablenkungen, Technikprobleme, fehlende Ruhe.
Und wir wissen mittlerweile auch, wer dieses Return to Office vor allem praktiziert: Es sind eher männliche CEOs, ältere CEOs, solche mit Hauptsitzen in Städten mit günstigen Mieten – und oft in Unternehmen, bei denen es wirtschaftlich gerade nicht so gut läuft.
Da steckt häufig die Denke dahinter: „Vor Corona und Homeoffice lief alles gut, also muss es am Homeoffice liegen, dass es jetzt schlechter läuft.“ Dann werden alle zurückgeholt – aber damit entstehen neue Probleme. Und oft ist das auch eine Ablenkung davon, an die eigentlichen Ursachen heranzugehen, warum ein Unternehmen gerade nicht so produktiv oder erfolgreich ist.
Cliff:
Eine Beobachtung – die Zahlen kannte ich tatsächlich auch noch nicht. Sehr interessant. Also sind es unter anderem wieder mal die alten weißen Männer. Wir sind auf bestem Wege, bald selbst welche zu sein, insofern können wir das guten Gewissens sagen.
Könnte man die These vertreten – du hast eben gesagt, dass Remote-Führung komplexer macht, schwieriger macht, aufwendiger macht –, dass Remote schlechte Führungskräfte am Ende noch schlechter macht, beziehungsweise ihre Schwächen deutlicher offenlegt, als es früher oder als es im Office der Fall wäre?
Carsten:
Ja.
Für mich ist es aber nicht immer nur das Personalisieren – also „oh, die Fähigkeiten sind nicht gut genug ausgeprägt“. Das kann auch mal sein, ist ab und zu der Fall. Aber manchmal passen einfach die Führungsstrukturen nicht.
Es ist schon eine Herausforderung, in einem großen Team hybrid zusammenzuarbeiten. Wenn ich 30 oder 40 Leute im Team habe und dann nicht genügend Zeit für Führung, ist das schwierig. Und das wird in der hybriden Arbeit noch viel schwieriger.
Wir haben in unserer Forschung andere Ansätze entwickelt. Wir sagen: Wenn wirklich die Kosten von Homeoffice eher auf Teamebene liegen, dann sollten auch eher die Teams entscheiden, wie sie hybrid zusammenarbeiten. Und das ist dann tatsächlich eine Managementaufgabe für die Führungskräfte.
Da bedarf es dann Fähigkeiten – und vor allem Mut.
Was wir in einer Doktorarbeit sehen, ist: Wenn wirklich auf der Teamebene koordiniert wird, wenn das dort als Managementaufgabe wahrgenommen wird – und das betrifft nicht nur den Arbeitsort, sondern auch die Arbeitszeit –, dann funktioniert es gut. Denn es bringt ja gar nichts, wenn man sich koordiniert und sagt: „Wir sehen uns alle donnerstags“, aber die einen fangen um sieben Uhr an und arbeiten bis zwölf, während die anderen erst nachmittags arbeiten. Dann hat man trotzdem keine gemeinsamen Kontaktpunkte.
Also: Es muss die Arbeitszeit koordiniert werden, die Präferenzen, die Technik – also: Mit welcher Software arbeiten wir? – und der Arbeitsort.
Wenn Führungskräfte das gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden machen, also den Mut haben und sich die Zeit nehmen, das zu koordinieren, dann sehen wir sehr positive Auswirkungen – auf Zusammenarbeit, Leistung und Commitment. Aber man muss das tatsächlich ernst nehmen.
Und es bedeutet auch: Es kann mal herauskommen, dass wir – wenn wir als Team regelmäßig draufschauen und es anpassen – eine Woche haben, in der wir uns vielleicht vier Tage sehen, weil wir gerade jemanden onboarden oder Kreativitätsaufgaben anstehen. Aber das sollte das Team entscheiden.
Diese Anarchie „Jeder entscheidet das für sich selbst“ halte ich aus psychologischer Sicht für nicht zweckdienlich. Ich halte es aber genauso wenig für sinnvoll, wenn der Chef in einer Betriebsvereinbarung einfach festlegt: „Alle müssen so oder so oft vor Ort oder zu Hause arbeiten.“ Das funktioniert in der Regel auch nicht.
Die Teamebene ist die entscheidende Ebene.
Und da brauchen wir Mut – und Arbeit, die in die Koordination investiert wird.
Cliff:
Du hast gesagt, Veränderungsoffenheit. Du hast das Wort Mut mehrfach benutzt und das Thema Koordination betont. Das sind alles Themen, die natürlich aus der Leitungsebene, aus der Chefetage gesteuert werden müssen.
In KMU ist es ja nun so, dass viele KMU auch von der Nähe, von der Persönlichkeit leben. Die Chefin kennt nun mal die Geburtstage der Mitarbeitenden, ja, sie kennt eventuell auch die Namen der Kinder – du nickst gerade.
Carsten:
Viele Paare, die wir größer haben – wenn das die Chefin oder der Chef weiß, dann hat sie ein sehr, sehr gutes Gedächtnis.
Cliff:
Aber du weißt, worauf ich hinaus will. Wir haben also das Thema Nähe durchaus in KMU sehr ausgeprägt. Könnte man – also die, glaube ich, auch häufig dahintersteckende Angst – vielleicht so benennen, dass die Chefinnen und Chefs, die nicht so sehr auf Remote stehen, vielleicht Angst davor haben, die Nähe abzugeben beziehungsweise mit Remote ein Stück weit ihre Kultur aufzugeben?
Ist das vielleicht etwas, was häufig dahinter steckt?
Carsten:
Ich nehme wahr, dass sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen sehr gute Regelungen gefunden haben, weil das Vertrauen da ist – und weil sie das eher auf Teamebene managen, den Teams vertrauen. Und das funktioniert oft gut.
Das, was in den großen Unternehmen gerade passiert, ist ja etwas anderes. Das ist oft eine Machtdemonstration auf der einen Seite – und auf der anderen Seite eine Möglichkeit, kostengünstig Personal freizusetzen.
Cliff:
Mhm. Na klar.
Carsten:
Das hat Elon Musk ja auch bei Tesla ganz klar in einem Artikel dargestellt: Wer nicht bereit ist, fünf Tage die Woche wieder vor Ort zu sein, soll bitte kündigen. Und in vielen deutschen Unternehmen, die jetzt auch in den Medien waren, habe ich das Gefühl, geht es genau in die gleiche Richtung.
Auf der einen Seite soll den Aktionärinnen und Aktionären gezeigt werden: „Schaut, wir machen was, wir sind stark.“
Und auf der anderen Seite heißt es dann: „Ja, wir müssen in unserem Autokonzern zehn Prozent der Leute entlassen – und das bringt uns schon mal fünf Prozent Einsparung.“
Ich glaube, dass genau die KMU – dadurch, dass sie langfristiger denken – das nicht machen müssen. Und dass sie deswegen solche Maßnahmen auch nicht so stark praktizieren. Sie sind im Gespräch mit ihren Kolleginnen und Kollegen, und das kann einfacher funktionieren – weil Vertrauen da ist.
Auch die Koordination ist in kleineren Einheiten, bei 100 oder 150 Mitarbeitenden, viel leichter. Das ist eine Anzahl, bei der man die Menschen gut im Blick behalten kann, wo Vertrauen entstehen kann. Und dadurch, glaube ich, lässt sich hybrides Arbeiten dort viel besser koordinieren als mit Standardregeln oder Hauruck-Aktionen, wie wir sie in den DAX-Konzernen sehen.
Cliff:
Ja, ich wollte den KMU auch gar nicht vorwerfen, dass sie die Rückholaktionen forcieren – sondern eher, dass sie sich manchmal vielleicht schwer tun, die Mitarbeitenden überhaupt erst gehen zu lassen. Dass sie also gerne ein bisschen „klammern“.
Carsten:
Wobei man das ja auch verstehen kann. Aber es gibt ja Möglichkeiten.
Wie gesagt: Auf der einen Seite gibt es die Mikrokoordination auf Teamebene. Dann kann man auch mit sogenannten Begegnungstagen arbeiten – das machen wir beispielsweise bei uns im Team. Wir haben uns da einen Begegnungstag gegeben.
Es gibt eben nicht diese eine, allgemeingültige Lösung. Aber es gibt soziale Einheiten, die das besser entscheiden können – je nach Größe. Dafür braucht man links und rechts ein paar Leitplanken, aber ich glaube, dass Teams in KMU sehr gut selbst entscheiden können: Wie wollen wir zusammenarbeiten, und was steht in den nächsten Wochen an?
Und aus der Wissenschaft wissen wir auch, auf welche Kriterien man achten sollte. Zum Beispiel:
Wie viel soziales Lernen brauchen wir in den nächsten Wochen?
Müssen wir kreativ arbeiten?
Wie hoch ist die Interdependenz – also wie stark sind wir voneinander abhängig?
Und wie komplex ist die Aufgabe, wie hoch ist die Notwendigkeit für Wissensaustausch?
Je nachdem, wie das Feld aussieht, kann dann auch in den nächsten Wochen oder Monaten unterschiedlich zusammengearbeitet werden.
Ich glaube, diese Flexibilität und dieses Vertrauen sind vielleicht sogar etwas stärker in kleinen und mittelständischen Unternehmen, weil man sich einfach besser kennt.
Und dann gibt es eben unterschiedliche Zeiten und Möglichkeiten:
Es gibt Phasen, in denen die IT-Leute vielleicht einfach nur coden müssen – das können sie zu Hause viel besser.
Und es gibt Phasen, etwa bei einem Hackerangriff, wo es total notwendig ist, dass man sich vor Ort sieht, sich ständig austauscht und schnell reagiert. Da funktioniert asynchrone Kommunikation nicht so gut.
Ich glaube, dieses Vertrauen, dass die Leute das schon relativ gut selbst steuern können – mit klaren Leitplanken von der Unternehmensleitung –, ist zentral. Und das können die Teams in KMU sehr gut.
Carsten:
Gut.
Cliff:
Zutrauen veredelt den Menschen – ein guter alter Satz, und das wollen wir auch mal für Remote gelten lassen. Jetzt hast du, wie gesagt, zwei Bücher rund um das Thema New Work geschrieben – einmal die Utopien und die Dystopien rund um das Thema – und hast das jüngste Buch zur Psychologie der Macht vorgelegt.
Gibt es denn etwas rund um das Thema Remote, Homeoffice und Ähnliches, was du durch die Psychologie der Macht noch mal neu zu dem Thema gelernt hast oder neu betrachten gelernt hast?
Carsten:
Mich hat schon überrascht, wie das Thema „Return to Office“, also dass man die Leute jetzt zurückholt, teilweise wirklich als Machtdemonstration benutzt wird. Dass das tatsächlich etwas ist, was Menschen auch nach außen in so einem Ritual darstellen, um zu zeigen, wie mächtig sie sind und dass sie alle Zügel in der Hand halten.
Das war etwas, was, glaube ich, zum Thema Macht passt und was mir da auch aufgefallen ist.
Und das andere ist: Das Thema Remote-Arbeit hat auch noch mal etwas mit dem Thema Aufstieg zur Macht zu tun. Es gibt relativ viele banale Kriterien, die in vielen Unternehmen erklären können, warum jemand zur Macht aufsteigt.
Wenn ich in einem hierarchischen Unternehmen aufsteigen möchte, muss ich Netzwerkarbeit betreiben. Da werden Frauen heute häufig herausgekegelt, weil sie in Teilzeit arbeiten und nach 14:00 Uhr nicht mehr vor Ort präsent sind – beim Biertrinken oder was auch immer.
Das wird teilweise noch mal eskaliert durch das Thema Homeoffice. Wir nennen das „Salienz“ – dass ich teilweise nicht mehr salient bin in einem Unternehmen, also nicht mehr wahrgenommen werde, wenn ich zu stark zu Hause arbeite und vor Ort die Machtspielchen um den Aufstieg geklärt werden.
Und das ist leider in Unternehmen weiterhin so, dass wir den Aufstieg nicht sehr systematisch koordinieren, sondern dass er eher zufällig passiert – über Netzwerkarbeit, Geschlecht oder wer lange und viel reden kann. Das hängt damit zusammen, dass der Aufstieg zur Macht in vielen Unternehmen sehr unsystematisch verläuft, mit wenig Diagnostik.
Und die Diagnostik nimmt auf höheren Hierarchiestufen dann auch noch ab. Teilweise fallen auch gute Leute, die Homeoffice machen, eher raus.
Das sollten wir uns vergegenwärtigen: Die Leute vor Ort im Büro arbeiten häufig nicht, sondern kümmern sich um Netzwerkarbeit, Mikropolitik und andere Dinge, um persönlich voranzukommen – und rufen nicht unbedingt noch mal den Kunden an oder arbeiten am nächsten Produkt.
Cliff:
Ja, es stimmt – ich glaube auch, die fokussierte Arbeit findet tendenziell eher abseits des Trubels im Büro statt.
Lieber Carsten, „lang und viel reden“ gehört zu den Eigenschaften, die einer Karriere zuträglich sind – haben wir beide schon gemacht. Jetzt gehen wir in unsere Praxisrubrik KOFA to go, wo wir unseren Hörerinnen und Hörern noch mal ein paar Tipps oder Erkenntnisse für die Praxis mitgeben wollen.
Carsten:
Konkret für die Praxis bitte: das Thema nicht zu hoch hängen. Die Effektstärken sind relativ klein.
Es gibt wirklich Bereiche in einem Unternehmen und Arbeitsprozesse, die vielleicht sehr viel drängender sind – und auch Rahmenbedingungen, die sehr viel stärker zu bearbeiten sind –, sodass die Produktivität zunimmt und man sich gut aufstellt.
Das Thema Homeoffice ist tatsächlich nicht so dramatisch, wie es nach außen in den Medien dargestellt wird.
Das Zweite ist: Lasst die Teams entscheiden. Entscheidungen auf der Individualebene – „Jeder macht das, wie er will“ – und auch Entscheidungen auf der organisationalen Ebene – „Wir bestimmen für alle 5000 Leute, wie die zusammenzuarbeiten haben“ – sind nicht sinnvoll.
Sinnvoll ist, dass die Bereiche und die sozialen Einheiten, die zum Schluss tatsächlich die Produktivität bringen – und das sind die Teams – entscheiden, wie sie zusammenarbeiten können. Und die wissen meistens recht genau, wie das auszusehen hat.
Der dritte Punkt ist: Lasst euch nicht anstecken von diesem „Return to Office“. Häufig wird das genutzt, um Menschen freizusetzen, um relativ kostengünstig Fluktuation herzustellen.
Da hat man einen längeren Perspektivenraum – und muss da gegebenenfalls auch nicht mitmachen.
Cliff:
Lieber Carsten, wir haben viel gelernt über Remote-Arbeit. Wir haben auch viel gelernt über das Thema Macht.
Wer das nachverfolgen möchte, sollte dir entweder auf LinkedIn folgen oder natürlich die Bücher, die ich erwähnt habe, in der Tiefe studieren – möglichst nach einem Kauf beim lokalen Buchhändler: New Work Utopia, New Work Dystopia und natürlich Die Psychologie der Macht.
Herzlichen Dank für deine Expertise und deine Zeit, lieber Carsten.
Carsten:
Sehr gern.
Cliff:
Und wir, liebe Hörerinnen und Hörer, hören uns wieder wie gewohnt in zwei Wochen.
Ihr kennt das von uns: Bleibt uns gern gewogen, folgt uns auf allen notwendigen Kanälen. Wenn ihr Lust habt, empfehlt uns weiter an eure Kolleginnen und Kollegen.
Und wir wünschen euch natürlich weiterhin eine gute Sommerzeit. Bleibt gesund – bis bald wieder, auf Wiederhören.