
Transkript: Folge 86
KOFA auf dem Sofa: Zuversichtlich führen - auch in Krisenzeiten
Cliff:
KOFA auf dem Sofa. Fachleute für Fachkräfte.
Sibylle:
Ein Podcast für bessere Personalarbeit im Mittelstand.
Cliff:
Mit Sibylle Stippler.
Sibylle:
Liebe Freundinnen und Freunde der gepflegten Personalarbeit in kleinen und mittleren Unternehmen – KOFA auf dem Sofa ist zurück. Und jetzt fragt ihr euch vielleicht: Was ist das denn jetzt für eine Stimme?
Cliff:
Mein Name ist Cliff Lehnen. Ich bin der neue Host an der Seite von Sibylle Stippler in diesem Podcast. Ich bin seit vielen Jahren als HR-Fachjournalist unterwegs, habe also Personalarbeit in allen Formen und Farben journalistisch begleiten dürfen. Und ich freue mich jetzt, liebe Sibylle, an deiner Seite KOFA auf dem Sofa in die neue Staffel zu führen.
Sibylle:
Und ich freue mich auch, lieber Cliff. Schön, dass du da bist und auf unserem Sofa Platz genommen hast. Wir haben ja in der Vergangenheit schon mehrmals zusammengearbeitet, und du warst ja auch schon mal als Gast hier bei uns im Podcast.
Cliff:
Das stimmt.
Sibylle:
Und was ich an dir eben schätze, ist, dass du mir in den Gesprächen oft noch mal eine neue Perspektive gibst, manche Sachen auch kritischer hinterfragst. Ich bin ja eher schnell begeisterungsfähig, und dann sagst du schon mal: „Da müssen wir vielleicht noch mal genauer reingucken.“ Und genau das machen wir jetzt hier zusammen.
Cliff:
Genau. Ich freue mich. Wir haben ganz viel vorbereitet – zunächst für das nächste halbe Jahr. Wir wollen wirklich mit einer guten Portion Fachlichkeit, aber auch – und das ist das Thema von heute – mit Optimismus und Zuversicht in diese neue Staffel starten, vielleicht auch in diesen Frühling. Denn wenn wir uns so draußen umschauen, haben wir manchmal das Gefühl, alles ist irgendwie trüb und düster. Es wird viel gestritten, es wird viel kritisiert, und ich glaube, es ist mal an der Zeit – wenn wir hier schon einen kleinen Neustart wagen –, dann auch zu sagen: Mensch, dann aber auch richtig und mit einem optimistisch-positiven Thema.
Sibylle:
Genau. Man muss natürlich sagen, es gibt auch handfeste Gründe dafür, warum man beunruhigt sein kann oder vielleicht auch mit ein bisschen Bedrückung in die Zukunft schaut. Und ich glaube, wo wir uns ja auch beide einig sind: Einfach nur zu sagen „Think positive“, also immer fröhlich in die Zukunft gucken – egal was ist – das ist uns doch ein bisschen zu platt, zu naiv. Ich glaube, dass unser Gast uns hier noch mal gut an die Hand nehmen kann und ein bisschen tiefer reinführt: Wie kann man denn auch angesichts von bedrohlichen Perspektiven oder Schwierigkeiten im Umfeld trotzdem sein Team aufrechterhalten und zum Guten in die Zukunft führen?
Cliff:
Ganz genau. Und deswegen bin ich froh, dass wir heute bei uns auf der Couch Christian Thiele begrüßen können. Christian Thiele ist Coach, Teamentwickler, Trainer, Speaker – und sein Thema ist positive Psychologie und Positive Leadership. Also: Wie schaffe ich es als Führungskraft, wirklich positiv auf mein Team und mein Unternehmen einzuwirken? Wie schaffe ich es – ich habe es eben gesagt – auch Optimismus zu verbreiten? Aber wir werden, lieber Christian, gleich erfahren, dass Optimismus, Zuversicht und Positive Leadership nicht unbedingt alles das Gleiche sind. Wir werfen das also nicht alles in einen Topf, sondern: Herzlich willkommen, toll, dass du bei uns bist, Christian Thiele.
Gast:
Grüße euch! Servus, hallo – oder „hoi“, wie man bei mir hier im Werdenfelser Land sagt. Liebe Sibylle, lieber Cliff, liebe Zuhörenden – ich freue mich riesig, hier dabei zu sein und mich mit euch auszutauschen.
Cliff:
Wir wollen am Anfang dieser Folge noch nicht ins Fachliche gehen, sondern dich als Person ein bisschen besser kennenlernen. Und dafür haben wir eine neue Rubrik eingeführt, Sibylle – die nennt sich?
Sibylle:
Die nennt sich „Couchgeflüster“.
Cliff:
Genau. Und das Couchgeflüster wird genau zwei Minuten zweiundzwanzig dauern. Wir geben dir ein paar Stichworte, ein paar Fragen, und im Rahmen dieser zwei Minuten zweiundzwanzig versuchen wir, so viele wie möglich davon mit dir abzuarbeiten. Du gibst uns einfach spontane Antworten. Du wirst gleich im Hintergrund eine Fahrstuhlmusik hören – die dauert genau zwei Minuten zweiundzwanzig – und wir gucken mal, wie weit wir kommen. Bist du d’accord und bereit?
Gast:
Ja – das muss ich doch jetzt flüstern, oder?
Cliff:
Wir gucken mal. In dem Sinne, liebe Sibylle: Let’s go!
Sibylle:
Das bin ich in drei Worten?
Gast:
Berge. Positiv. Führen.
Sibylle:
Das wollte ich als Kind werden.
Gast:
Auf gar keinen Fall Arzt wie mein Vater und mein Großvater. Ich wollte Skirennfahrer oder Jazzpianist werden – beides hat nicht geklappt.
Sibylle:
Wenn ich nicht arbeite, dann …
Gast:
… gehe ich in die Berge, schaue in die Berge, freue mich auf den nächsten Moment, wo ich in die Berge gehen oder auf sie schauen darf.
Sibylle:
Was ich meinem jüngeren Ich über Führung und Personalarbeit mitgeben würde?
Gast:
Es darf auch leicht sein. Man darf auch gut sein in etwas. Man muss nicht bloß immer auf die Schwächen, die Defizite oder die Konflikte fokussieren.
Sibylle:
Drei Dinge, ohne die ich nicht arbeiten kann.
Gast:
Espresso. Meine Brille. Gute Laune.
Sibylle:
Das klingt, als wär’s dein Arbeitsalltag. Wenn du für einen Tag jemand anders sein könntest, dann …
Gast:
… Gerhard Polt. Den verehre ich sehr, der bayerische Kabarettist. Der hat mal gesagt, er wäre wahnsinnig gern Tretbootverleiher am Starnberger See geworden. Ja – also dass man die Menschen willkommen heißt, Geld abkassiert, sie dann mit einem kräftigen Schubser auf den See verabschiedet und sie nach einer Stunde wiederkommen. Fänd ich total interessant, das mal eine Zeit lang zu machen.
Sibylle:
Also du wärst nicht gerne Gerhard Polt geworden, sondern der Tretbootverleiher, der Gerhard Polt gern geworden wäre?
Gast:
(lacht) Ja, vielleicht beides auch. Könnte ich mir gut vorstellen.
Sibylle:
An meinem Job liebe ich am meisten …
Gast:
Ganz vieles. Ich habe das Gefühl, dass ich viel lernen darf, dass ich mit spannenden Menschen zu tun habe, dass ich mich weiterentwickeln darf, dass Freude und Humor quasi in meiner Stellenbeschreibung stehen, dass ich flexibel bin, mir meine Woche, meinen Tag, mein Jahr gestalten kann – und vielleicht mehr.
Cliff:
Damit sind wir am Ende unserer Zeit angelangt. Lieber Christian, du hast dich ganz hervorragend geschlagen – du bist ja der Erste, der dieses Experiment mit uns wagt, unser Versuchskaninchen gewissermaßen. Das hat, finde ich, ganz hervorragend geklappt. Danke für deine Offenheit hier.
Sibylle:
Christian, Cliff und ich haben das Thema ja eben schon eingeleitet und ein paar Behauptungen in den Raum gestellt – alles ist trüb und düster, den Menschen geht’s gar nicht so gut. Du bist ja nun als Trainer, Berater und Coach sehr viel unterwegs, im Kontakt mit Führungskräften und Unternehmen. Wie ist denn dein Eindruck von der Lage vor Ort? Ist das in den Unternehmen ein großes Thema – also diese Umweltfaktoren und die Frage: Wie kann ich denn als Führungskraft meinen Job vielleicht anders machen, als ich früher dachte?
Gast:
Also auf jeden Fall stelle ich das fest. Wir sehen das auch in Studien: Wenn wir Menschen zu ihrem Wohlbefinden befragen, dann ist der Blick aufs Außen – auf das große Ganze – in den letzten vier, fünf Jahren deutlich negativer geworden. Klar, man hat vielleicht auch private Herausforderungen oder mit Krankheiten oder anderen Themen zu tun, aber ansonsten stelle ich schon fest, dass es an vielen Orten Mangel gibt: Mangel an Menschen, Mangel an Energie – in doppelter Hinsicht – und ja, auch Mangel an Perspektiven und Zuversicht. Mit diesen vielen Turbulenzen klarzukommen, ist für viele Mitarbeitende eine enorme Herausforderung. Aber ich habe den Eindruck: Für Führungskräfte, die in all dem ja auch noch ein bisschen Leuchtturm sein sollen, ist das häufig eine wahnsinnig herausfordernde Zeit – die natürlich aber auch spannend ist und neue Möglichkeiten bietet.
Cliff:
Schauen wir uns gleich genauer an, gerade die Rolle der Führungskräfte. Ich würde aber gern noch mal in die Terminologie mit dir rein, denn du hast uns im Vorgespräch gesagt, du unterscheidest bewusst zwischen Optimismus, Zuversicht und natürlich deinem Herzensthema, der positiven Führung. Hol uns da noch mal ab – was genau meinst du damit?
Gast:
Also: Ich lebe auf dem Land, in Garmisch-Partenkirchen – genauer gesagt in Partenkirchen, blauer Skiclub, Gamsbock auf der Lederhose nach unten. Und ich habe vor einigen Tagen etwas sehr, sehr Dramatisches beobachtet. Da sind nämlich drei Frösche nacheinander in einen Sahne-Zuber gefallen. Der erste war Pessimist, der zweite Optimist und der dritte zuversichtlich. Der pessimistische Frosch sagt: „Ah, jetzt falle ich in so einen Sahne-Zuber, ich hab das Finanzamt am Wickel, meine Freundin hat sich von mir getrennt, und jetzt lieg ich hier auch noch – ich hab überhaupt keine Chance.“ Zack, war er tot. Der zweite Frosch, der in diesen Zuber gefallen war, hatte einen großen Kurs im positiven Denken gemacht und war sehr optimistisch. Er sagte: „Also, ich schwimme mich hier einfach raus, das wird schon klappen, und die Sonne scheint doch.“ Zack – auch abgesoffen. Und der dritte Frosch, der zuversichtliche, hat gesagt: „Mist, jetzt sitze ich hier in diesem Sahnefass. Ich will einfach mal strampeln und strampeln, ich will an den Rand kommen, ich will hier raus – und ich glaube, ich schaffe das.“ Und plötzlich strampelt und strampelt er, die Sahne wird zu Butter – und er kann hinaushüpfen. Und das ist Zuversicht: ein handlungsgeleitetes, positives Bild von der Zukunft, bei dem ich meine Stärken, meine Vorerfahrungen, aber auch meine Ziele einbringen kann. Das ist für mich der Unterschied zum Optimismus, der vielleicht eher so ein Sich-Zurücklehnen ist – die Hoffnung, dass das Gute schon von außen oder von oben kommt.
Cliff:
Also hat der Optimismus auch ein bisschen was Naives, so willst du womöglich insinuieren?
Gast:
Genau. Vielleicht auch etwas Gutgläubiges – wie im kirchlichen Kontext die Hoffnung, die von oben kommt. Tja, und wenn ich ein Team oder ein Unternehmen führe, dann ist es schon gut, mich selbst und andere daran zu erinnern, dass wir auch in turbulenten Zeiten, wenn wir in so einem Sahne-Zuber liegen, selbst etwas beitragen können – dass wir Ressourcen haben, um wieder auf festeren Boden zu kommen und voranzugehen.
Sibylle:
Es ist also, wenn ich das richtig verstehe, weit mehr als eine Einstellungssache. Man muss eben auch aktiv werden, sich Pläne machen, gemeinsam sprechen – was ja fast schon ein bisschen schade ist. Denn wenn ich an mich und meine Führungskolleginnen denke, dieses Strampeln haben wir gefühlt sowieso schon die ganze Zeit. Wenn ich mich jetzt aber auf den Weg machen möchte und weiß, ich habe schon gute Ansätze, mit Zuversicht an den Job ranzugehen – kannst du uns Tipps geben für kleine Hebel, erste Schritte? Was kann ich denn anders machen, um mein Team zuversichtlicher zu führen?
Gast:
Ich würde das auf jeden Fall unterstreichen. Es ist einerseits eine Einstellungssache, eine Haltungsfrage und gleichzeitig eben auch eine Frage des Verhaltens. Cliff, du hast ja eingangs schon gesagt: Positive Leadership ist mein Thema. Es gibt ein Framework, mit dem ich sehr viel und sehr gerne arbeite – das heißt PERMA-Lead. Und das steht für fünf Buchstaben. Wenn ihr Zeit habt, würde ich die kurz durchgehen, weil sie sehr konkrete und greifbare Aspekte umfassen.
P steht für positive Emotionen – also: Wie trage ich als Führungskraft dazu bei, dass auch so etwas wie Positivität herrscht? Das heißt nicht, dass ich die ganze Zeit mit der Clownsnase rumlaufen und alles rosarot malen muss, aber es heißt, dass ich Gelassenheit, Zuversicht, Abgeklärtheit oder Interesse fördern kann, dass Leute etwas dazulernen wollen, dass wir differenzieren können zwischen dem Worst Case und dem Most Likely Case. Das wäre das Erste.
E steht eigentlich für Engagement, aber auch für Energie oder Einsatz. Da geht es darum: Wie kann ich meine Stärken im Team einsetzen, und wie kann ich als Chefin oder Chef dazu beitragen, dass die Leute ihre Stärken, ihre Kompetenzen und Fähigkeiten sehen und sich gegenseitig Rückmeldung geben? Und dass sie ihre Stellenbeschreibung, ihren Job ein Stück weit an ihren Stärken ausrichten – also an dem, was sie gut, gern und mit Leidenschaft machen, was sie dann auch erfolgreich macht. Das ist die zweite Strategie.
R steht für Relationships – also Beziehungen. Wie schaffen und fördern wir tragfähige, gute Verbindungen im Job? Das ist gerade jetzt entscheidend, wo wir viel mehr remote oder hybrid arbeiten als noch 2019. In vielen Organisationen ist das eine Herausforderung: Wie findet man Zusammenhalt, Teamgeist, Teamidentität? Dazu gehört auch, dass ich mich in den Teamcalls nicht bloß über Zahlen, Daten, Fakten und Termine unterhalte, sondern auch mal frage: Wie geht’s dir eigentlich gerade? Was beschäftigt dich?
Die vierte Säule – das M – steht für Meaning oder Mattering, also Sinn und Beitrag. Was ist das große Ganze, zu dem mein Wirken beiträgt? Eine schöne kleine Geschichte: John F. Kennedy besuchte die Raketenbasis in Cape Canaveral, traf dort eine Reinigungskraft und fragte: „Was machen Sie denn hier mit Ihrem Besen?“ Und sie antwortete: „Mr. President, ich trage dazu bei, dass Menschen auf den Mond fliegen können.“ Da hat jemand sein großes Why verstanden – den Beitrag, auf den sie oder er einzahlt.
Und fünftens: A für Accomplishment, Achievement oder auch Applaus. Es geht also darum, nicht nur auf die To-dos zu schauen, sondern auch die Tada’s zu feiern. Was haben wir schon geschafft, wo erleben wir uns als wirksam? Gerade wenn ich in sehr großen oder langfristigen Projekten unterwegs bin, ist es wichtig, den Leuten vor Augen zu führen, wo sie etwas geschafft haben.
Wir wissen, dass Führungskräfte, die auf diesen fünf Dimensionen gut abschneiden, weniger Abgänge im Team haben, eine höhere Mitarbeiterloyalität, größere Zuversicht im Change, stärkeren Teamzusammenhalt und insgesamt eine bessere Stimmung und Produktivität.
Cliff:
Christian, ich fasse mal kurz zusammen: Das sind erstens die positiven Emotionen, zweitens Engagement und Energie, drittens Relationships – also Beziehungsarbeit –, viertens Meaning, also Sinn und das Why, und fünftens Achievement, also die Erfolge und das Feiern von Tada-Listen. Super. Lass uns am Ende dieser Folge, wenn wir auf unsere Learnings und Empfehlungen schauen, noch einmal darauf eingehen, was du aus diesen fünf Elementen ganz konkret für die Praxis empfiehlst – also für die Unternehmen, die hier zuhören.
Sibylle:
Gern. Eine Sache, die mich im letzten Jahr sehr beschäftigt hat: Da gab es im Handelsblatt – ich glaube, im Dezember – einen Artikel, da stand: „Die letzten Jahre der Führung sind vorbei.“ Ich hatte darüber auf LinkedIn auch etwas gepostet, und das war einer meiner meistkommentierten Beiträge. Ich sehe das nicht so, aber ich weiß, dass Menschen in Krisensituationen manchmal dazu neigen, den starken Leader – ich sage das bewusst mal männlich – zu suchen. Ist das so? Was ist deine Erfahrung damit? Wie gehe ich als empathische Führungskraft damit um, wenn ich mit so einer Erwartung konfrontiert werde – etwa im Sinne von: „Jetzt sei doch mal stringenter“?
Gast:
Ja, vielen Dank. Das ist eine Frage, die mich auch immer wieder erreicht. Zum einen: Ja, ich sehe das tatsächlich als eine sehr männlich konnotierte Form von Führung – diese Musks, diese Trumps dieser Welt, die sich mit dem Handkantenschlag durchsetzen und sich nicht um Loyalitäten oder Verbindungen kümmern. Zum anderen wissen wir aus der Forschung, dass in Zeiten der Unübersichtlichkeit die Sehnsucht nach Klarheit und Autorität tatsächlich steigt.
Ich erinnere mich, dass Führungskräfte, mit denen ich während der Lockdowns in Coachings gearbeitet habe, von ihren Mitarbeitenden plötzlich Fragen bekommen haben wie: „Wie soll ich das denn mit der Schule machen?“ oder „Hast du Tipps – soll ich mich impfen lassen?“ Themen also, zu denen sie eigentlich gar nicht befugter oder kompetenter waren als andere. Aber wenn zu viel Turbulenz und Unvorhersehbarkeit herrschen, dann scheint der Blick nach oben naheliegender zu sein.
Und drittens: Es wäre für mich ein totales Missverständnis, klare Führung mit autoritärem Führungsstil gleichzusetzen. Junge Talente werden sich mit Top-down-Ansagen und „Schluss mit lustig“ nicht gewinnen und nicht binden lassen. Wir haben Fachkräftemangel auf allen Ebenen und in allen Branchen – das ist vielleicht konjunkturell gerade etwas überdeckt, aber im Kern bleibt das bestehen.
Ich bin ziemlich entschieden, dass das ein Irrweg wäre. Jeder, der mal irgendwo gearbeitet hat, weiß: Eine zugewandte, emotionale, beziehungsorientierte und wertschätzende Führung ist sinnvoller – und schöner – als von einem drakonischen Chef geführt zu werden.
Cliff:
Schauen wir doch mal auf das Thema Forschung. Was weiß man denn aus der Wissenschaft über die Themen, die du propagierst – also über positive Führung, Zuversicht, Sinn und all das, was du uns gerade erklärt hast?
Gast:
Dazu gibt es immer mehr Studien, die das belegen. Wenn ich bei der Führungskraft selbst anfange: Sie wird als resilienter, also widerstandsfähiger und anpassungsfähiger, wahrgenommen, wenn sie nach diesen Aspekten positiver Führung führt. Die Mitarbeitenden haben weniger Fehlzeiten, neigen weniger zu Burnout-Symptomen oder zu Kompensationsverhalten wie Tabletten- oder Alkoholkonsum.
Wenn Führungskräfte so führen, macht sich das auch nach außen bemerkbar: Die Kundenzufriedenheit steigt, die Weiterempfehlungsrate steigt. Besonders spannend ist eine gemeinsame Studie von Oxford und Harvard, die Aktienkurse mit Mitarbeiterbewertungen auf Glassdoor verglichen hat. Ergebnis: In Organisationen, in denen das Wohl der Mitarbeitenden stärker im Fokus der Führung steht, performen die Aktienkurse signifikant besser.
Das ist noch relativ junge Forschung, die weiter überprüft werden muss, aber die Richtung ist eindeutig. Wir haben sehr viele Belege aus unterschiedlichsten Branchen. Ich selbst habe in der Schweizer Armee Daten erhoben und konnte zeigen: Positive Führungskräfte gehen mit stärkerem Stärkenbewusstsein, geringerem Stressempfinden, weniger Burnout-Belastung, mehr Arbeitsfreude und höherem Engagement einher.
Natürlich sind das Korrelationen, und viele Faktoren spielen mit hinein – aber die Tendenz ist klar. Organisationen, die sich gut um ihre Mitarbeitenden kümmern, kümmern sich in der Regel auch um ihre Strategie – und das spiegelt sich in ihrer Kultur und Leistungsfähigkeit wider.
Cliff:
Christian, du bist ja selbst – und das teilen wir beide – in einem früheren Leben Führungskraft in der Medienbranche gewesen. Ich war Chefredakteur der Personalwirtschaft, du warst bei verschiedenen renommierten Magazinen tätig. Du reflektierst diese Zeit ja auch öffentlich als eine Phase, in der Führung oft negativ und fehlerorientiert geprägt war. Du wolltest da aktiv raus und eine andere Form von Führung leben – und das ist dir gelungen. Was interessiert mich natürlich: Was sind heute deine Routinen und Rituale, die dafür sorgen, dass du – ich sage jetzt nicht optimistisch, sondern zuversichtlich – durch deinen Arbeitsalltag gehst? Gibt es etwas, das unsere Hörerinnen und Hörer vielleicht übernehmen könnten?
Gast:
Für mich sind tatsächlich die Berge, die ich ja zum Glück vor der Haustür habe, einerseits eine persönliche Quelle von Kameradschaft, Verbindung, Erfolgserlebnissen, Freude, Abstand und Achtsamkeit. Gleichzeitig sind sie auch eine Chiffre, ein Beispiel. Es muss ja nicht jeder in die Berge gehen – man kann auch an den See, in den Chor oder ins Bastelteam. Wichtig ist, Dinge zu tun, die einen fordern, beschäftigen und rausziehen aus dieser Dauerverfügbarkeit von Arbeit, unter der viele Führungskräfte heute noch stärker leiden als früher.
Ich würde jedem Menschen empfehlen, ein Hobby, ein Interesse, einen „Spin“ zu pflegen – einfach, weil es gut für den Kopf ist. Man gewinnt neue Perspektiven und soziale Verbindungen, hat Erfolgserlebnisse und tankt Energie.
Das Zweite ist: Wir sind Herdentiere – auch wenn man das nicht immer merkt, wenn man sich durch den Stau quält. Eigentlich sind wir darauf bedacht, in Verbindung mit anderen zu sein. Ich frage mich regelmäßig: Wo tue ich etwas für gute soziale Beziehungen? Und das müssen gar nicht immer die „Strong Ties“ sein.
Cliff:
Das müsstest du unseren Hörenden einmal erklären – was sind Strong Ties?
Gast:
Das sind sozusagen die dicken Taue der sozialen Verbindungen – zu Familienmitgliedern, zur Partnerschaft, zu engen Freundinnen und Freunden. Die „Weak Ties“ sind dagegen die loseren Verbindungen – die Bedienung im Lieblingscafé, der entfernte Kollege, mit dem man mal kurz eincheckt und fragt: „Wie läuft’s bei dir gerade?“ Dieses reichhaltige soziale Netz, das tut uns gut und stärkt unser Wohlbefinden.
Und das Dritte ist: sich der eigenen Stärken bewusst zu sein. Jede Stärke hat ja auch eine Übertreibung – Humor kann in Albernheit kippen, Zuversicht in Naivität. Aber unsere Stärken haben eben auch viele positive Aspekte – nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere. Zu schauen, wo ich meine Stärken gut einbringen und dosieren kann, das versuche ich im Alltag umzusetzen und zu leben.
Sibylle:
Ja, ich verstehe dich so, Christian: Das ist ja sehr ganzheitlich gedacht. Es geht hier nicht darum, irgendein Führungskräfte-Basisseminar zu belegen und dann ein paar Tools beigebracht zu bekommen, sondern es betrifft mein Familienleben, meine Freundschaften, meine Hobbys, meine Persönlichkeit insgesamt. Und ich glaube, das ist schon ein bisschen ein Unterschied. Du sprachst eben ja auch öfter mal von deinen Eltern. Und wenn ich an meinen Vater denke: Für den war immer klar, Arbeit ist Anstrengung – es muss wehtun, damit man zum Ziel kommen kann. Führungskräfte sind Einsatz, hat er mir oft gesagt. Er war Führungskraft. Und es tut irgendwie alles so ein bisschen weh, sage ich mal. Ich habe mich davon nicht abhalten lassen, aber ich glaube schon, dass gerade in der jüngeren Generation dieses Bild von Führung so abschreckend ist, dass viele denken: „Oh, ich muss dann mein ganzes Privatleben preisgeben, total flexibel sein, 50+ Stunden arbeiten und alleine Mittagessen gehen – das will ich auf gar keinen Fall.“ Also: Ist es Zeit, das Bild von Führung zu drehen? Ich finde, das gelingt gut, wenn man Geschichten erzählen kann. Vielleicht hast du eine Geschichte für uns zum Thema Positive Führung, die du teilen magst?
Gast:
Mache ich sehr gerne – und zwar sind das die vier Zahnputzfragen von Dr. Markus Ebner, der bei mir eine große Rolle spielt und von dem ich viel lernen durfte. Sie heißen so, weil man sie wunderbar abends beim Zähneputzen machen kann.
Frage 1: Wo habe ich heute Freude, Gelassenheit, Interesse oder andere positive Emotionen erlebt?
Frage 2: Wo habe ich mich heute lebendig erlebt – zum Beispiel: Es hat geregnet, 8 Grad, und ich habe trotzdem die Laufschuhe angezogen; oder ich habe ein schwieriges Projekt ein Stück weitergebracht, eine unangenehme Mail formuliert und bearbeitet.
Frage 3: Mit wem fühle ich mich verbunden, wem bin ich heute dankbar? Sei es die Kassiererin, die mir freundlich begegnet ist, oder eine Kollegin, die mich unterstützt hat, obwohl sie es nicht musste.
Frage 4: Wo konnte ich heute die Dinge tun, die ich besonders gern, besonders leidenschaftlich, besonders gut tue? Wo konnte ich meine Stärken einbringen?
Wir wissen: Menschen, die sich diese Fragen immer mal wieder stellen – gegenüber dem Partner oder auch im Team, in abgewandelter Form – erhöhen damit die positive Emotionalität und kommen mit Stress besser zurecht.
Cliff:
Lieber Christian, wir haben – wie man bei euch sagt – schon ein wenig „geratscht“, sodass wir uns dem natürlichen Ende dieser Folge mit großen Schritten nähern. Und das natürliche Ende dieser Folge ist KOFA to go, bei dem wir unseren Hörenden die wichtigsten Learnings kompakt zusammenfassen. Deswegen: Wenn wir jetzt den Experten Nummer 1 zu Positive Leadership und Zuversicht in der Führung bei uns haben, gib uns doch bitte – und unseren Hörenden – die zwei, drei wichtigsten Dinge, die Führungskräfte wirklich für die Praxis mitnehmen können, um mit kleinen Hebeln einen großen Unterschied zu machen.
Gast:
KOFA to go.
Erstens: Positiv führen ist kein Kuschelkurs, sondern ein Performance-Booster. Wer positiv arbeitet, arbeitet in der Regel auch produktiver.
Zweitens: Das ist oft keine Rocket Science – kleine Gesten haben häufig große Wirkung. Ein Dankeschön, Anerkennung für einen Zwischenerfolg, für eine sichtbare Wirkung – sich dafür Raum zu nehmen und es den Mitarbeitenden zukommen zu lassen, wirkt Wunder.
Drittens: Führung hat im Moment sehr viel mit Empowern und Möglich-Machen zu tun. Viele Führungskräfte – gerade in Betrieben – sind noch am tiefsten in den Themen und glauben, Alleswisser sein zu müssen. Sich davon ein Stück zu lösen, den Menschen „Wind unter die Segel“ zu geben, ihre Kompetenz wirklich wirken zu lassen und sie darin zu stärken – das ist für mich ein dritter, sehr wichtiger Aspekt.
Sibylle:
Christian, vielen, vielen Dank. Ich habe für mich einiges mitgenommen – unter anderem PERMA, das schaue ich mir noch mal genauer an – und mein Verhalten vielleicht auch noch mal auf den Prüfstand zu stellen. Wie sagt ihr bei euch Tschüss? „Hoi“ sagt ihr zur Begrüßung – und zum Abschied?
Gast:
„Pfiat eich!“
Cliff:
Christian, ich will unseren Hörenden auch die Möglichkeit geben, deinen Podcast zu hören – der heißt natürlich „Positiv Führen“. Das ist dein Thema. Du konntest deine Stärken heute bei uns einbringen. Wir danken dir für deine Expertise und deine Zeit. Und sagen … wie war das …?
Sibylle:
„Pfiat di!“
Cliff:
Lieber Christian – herzlichen Dank!
Gast:
Ich danke. Ciao, macht’s gut. Tschüss!
Sibylle:
Das war KOFA auf dem Sofa für heute. Weiter geht es in zwei Wochen. Dann haben wir Dr. Lydia Marlin zum Thema „Frauen im Handwerk“ zu Gast – darauf freue ich mich besonders. Wenn euch die Folge gefallen hat, abonniert uns gerne in eurem Podcast-Kanal des Vertrauens, lasst eine nette Bewertung da und teilt die Folge gern in eurem Netzwerk.
Cliff:
Genau das – lasst ein bisschen Liebe da. Wir freuen uns. Liebe Sibylle, ich freue mich, dass wir unsere erste Folge hier mit Christians Begleitung – ich hoffe doch, und ich denke doch – ganz gut hinbekommen haben.
Sibylle:
Da bin ich felsenfest von überzeugt. Wir machen weiter so, Cliff – und dann: bis in zwei Wochen, liebe Hörerinnen und Hörer.
Cliff:
Danke euch für die Aufmerksamkeit – bis bald und auf Wiederhören.