
Transkript: Folge 81
KOFA auf dem Sofa: Konflikte in der Ausbildung
Jens:
KOFA auf dem Sofa – der Podcast.
Sibylle:
Mit Sibylle Stippler und Jens Breuer. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge! Hier ist KOFA auf dem Sofa – im August.
Jens:
Ein herzliches Willkommen auch von mir. Ich bin voller Tatendrang nach einem wunderschönen Sommerurlaub und freue mich sehr auf unsere heutige Folge, liebe Sibylle.
Ich werfe direkt mal eine Zahl in den Raum: 489.182. So viele Ausbildungsverträge sind 2023 bis zum Stichtag Ende September abgeschlossen worden – das sind drei Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Aber – und das muss man wissen – rund jeder dritte Ausbildungsvertrag wird wieder aufgelöst. Oft, weil die Auszubildenden merken: Das passt hier nicht – weder zum Betrieb noch zum Beruf.
Sibylle:
Ja, und das ist natürlich total schade – sowohl für die jungen Menschen als auch für die Betriebe, die ja händeringend nach Azubis suchen. Man denkt ja, wenn man sich füreinander entschieden hat, ist die größte Hürde genommen. Aber offenbar ist dem nicht so.
Darum wollen wir heute genauer hinschauen: Was können Betriebe und Jugendliche tun, damit es länger miteinander klappt?
Jens:
Und dafür haben wir wieder einen Gast bei uns: Stefanie Wiedrey, sie ist Leiterin des Projekts Passgenaue Besetzung bei der Brücke Ostwestfalen. Schön, dass du da bist, Stefanie!
Stefanie:
Hallo Jens, hallo Sibylle! Herzlichen Dank für die Einladung – ich freue mich auf den Austausch heute.
Sibylle:
Dann steigen wir direkt ein: Worum geht’s bei der Passgenauen Besetzung eigentlich genau?
Stefanie:
Im Grunde steckt’s schon im Namen: Wir bringen Azubi und Betrieb zusammen – passgenau. Das Ganze ist ein Förderprogramm, finanziert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Ziel ist es, Unternehmen bei der Suche nach geeigneten Auszubildenden zu unterstützen.
Wir stellen Kontakte her, vermitteln Bewerberinnen und Bewerber, beraten Unternehmen – und natürlich auch die Jugendlichen selbst. Wir helfen bei Bewerbungsunterlagen, beim Bewerbungsverfahren oder, wenn nötig, schon vorher bei der Berufsorientierung. Denn viele wissen gar nicht, welcher Beruf wirklich zu ihnen passt. Und wenn am Ende beide Seiten zufrieden sind, dann freu ich mich – dann hab ich meinen Job richtig gemacht.
Jens:
Begleitet ihr die Azubis und Betriebe auch über den Vertragsabschluss hinaus?
Stefanie:
Ja und nein – das kommt ganz darauf an. Oft ist man nach der Vermittlung noch eine Weile im Kontakt. Manche rufen nochmal an, wenn’s Fragen oder kleinere Probleme gibt, dann unterstützen wir natürlich weiter. Wenn alles gut läuft, hört man manchmal länger nichts – was ja auch ein gutes Zeichen ist. Aber manchmal kriegt man später eine schöne Rückmeldung: „Ich hab meine Prüfung bestanden!“ – das freut mich dann riesig.
Sibylle:
Das klingt nach einer wichtigen Arbeit. Aber wenn wir über Zahlen sprechen: Rund 30 Prozent der Ausbildungsverträge werden ja vorzeitig aufgelöst. Woran scheitert es deiner Meinung nach am häufigsten?
Stefanie:
Oft liegt’s an falschen Vorstellungen – an einer Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität. Viele Jugendliche wissen gar nicht genau, was sie im Berufsalltag erwartet. Da fehlt manchmal die Orientierung, auch wegen der Pandemie: In dieser Zeit gab’s kaum Praktika, wenig Berufsberatung in Schulen, und das merken wir bis heute.
Wenn junge Menschen dann in den Betrieb kommen und merken: Das ist ganz anders, als ich’s mir vorgestellt habe – dann ziehen manche die Reißleine.
Jens:
Das sind also Gründe, die schon vor der Ausbildung beginnen. Aber wie sieht’s mit dem Onboarding in den Betrieben aus? Kann das helfen, Ausbildungsabbrüche zu verhindern?
Stefanie:
Ja, absolut. Viele Betriebe machen da schon viel richtig – aber oft geht noch mehr. Gerade bei der Generation Z spielt das eine Rolle. Diese jungen Leute sind es gewohnt, dass man sich kümmert. Früher hat man vielleicht eher „einfach durchgehalten“, heute erwarten viele mehr Begleitung – und das ist auch okay.
Ein gutes Onboarding beginnt übrigens nicht am ersten Arbeitstag, sondern schon nach dem Vertragsabschluss – also im sogenannten Preboarding.
Sibylle:
Was heißt das konkret?
Stefanie:
Das kann ganz einfach sein: mal eine E-Mail schicken mit „Wir freuen uns auf dich!“ oder ein kleines Willkommenspaket. Ich kenne Betriebe, die schicken ein paar Giveaways mit einer persönlichen Karte, auf der der Name des Azubis schon draufsteht – das ist Wertschätzung pur. Oder man schickt ein Teamfoto, einen kleinen Countdown bis zum Ausbildungsstart.
Das sind Kleinigkeiten, die nichts kosten, aber eine riesige Wirkung haben. Der oder die Auszubildende fühlt sich willkommen – und das ist die beste Grundlage, um motiviert zu starten.
Jens:
Klar, genau – du hast die Generation Z ja eben schon angesprochen. Ich kenne das so: Die Verbindlichkeit ist heutzutage einfach eine andere als früher. Der Arbeitsmarkt sieht ganz anders aus als damals, als wir alle drei auf Ausbildungssuche waren. Heute ist es eher so: Wenn einem etwas nicht passt, dann kommt man eben gar nicht – also man tritt die Ausbildung gar nicht erst an. Das habe ich auch schon aus Betrieben gehört: Die gehen davon aus, dass jemand zum August oder September anfängt – und dann taucht die Person einfach nicht auf.
Stefanie:
Ja, das kann ich absolut bestätigen. Das war in den letzten Wochen – vor meinem Urlaub – tatsächlich öfter der Fall. Da rufen Firmen ganz überrascht oder sogar frustriert an: Sie haben ein tolles Bewerbungsverfahren gehabt, sich für jemanden entschieden, anderen abgesagt – und dann sagt die ausgewählte Person vielleicht zwei Wochen vorher kurz per Mail ab, oft ohne Begründung. Und manchmal kommt sie einfach gar nicht.
Das hat es früher sicher auch mal gegeben, aber nicht in diesem Ausmaß. Das ist wirklich ein Thema: fehlende Verbindlichkeit. Und das ist für Unternehmen natürlich ärgerlich, denn oft sind die zweit- oder drittplatzierten Kandidatinnen und Kandidaten dann schon woanders untergekommen.
In einem Fall hatte ich Glück – ich konnte kurzfristig eine andere junge Frau vermitteln, die perfekt passte. Aber das klappt natürlich nicht immer so reibungslos.
Sibylle:
Wenn ich so an meine eigene Ausbildungszeit zurückdenke – es ist ja ganz normal, dass es mal Schwierigkeiten gibt, dass Erwartungen unterschiedlich sind oder man nicht genau weiß, wie man sich verhalten soll. Führt die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt dazu, dass Unternehmen Azubis heute eher „mit Samthandschuhen“ anfassen? Oder brauchen sie eher mehr Mut, Konflikte offen anzusprechen? Welche Tipps hast du, wenn’s in der Ausbildung knirscht – auch mit der Sorge im Hinterkopf: „Wenn ich was Falsches sage, geht der Azubi vielleicht gleich wieder“?
Stefanie:
Ich glaube, man kann das nie pauschal sagen – jeder Betrieb muss da seinen eigenen Weg finden. Aber mein erster Tipp wäre: authentisch bleiben.
Man sollte sich nicht verstellen oder Dinge unter den Teppich kehren, nur um jemanden zu halten. Das ist weder ehrlich noch gesund für die Zusammenarbeit. Wichtig sind offene Worte, regelmäßiges Feedback und klare Kommunikation:
Was erwartet der Betrieb? Welche Regeln gelten? Was ist uns wichtig?
Gerade junge Menschen sind ja oft in ihrer ersten Ausbildung – sie kennen vieles einfach noch nicht. Da entstehen Missverständnisse schnell. Wenn man regelmäßig miteinander spricht und Transparenz schafft, lassen sich viele Konflikte vermeiden.
Und trotzdem: Man sollte nicht hinter den Azubis „herlaufen“. Es geht um Wertschätzung, aber auch um klare Haltung.
Jens:
Du hast ja gesagt, Probleme kommen immer mal vor – wie in jeder Beziehung. Aber wenn sich so ein Konflikt verfestigt, also ein Dauerproblem entsteht: Was können Unternehmen dann tun? Müssen die das allein regeln oder gibt’s Unterstützung?
Stefanie:
Nein, da gibt es auf jeden Fall Unterstützung. Wenn man alles versucht hat, aber trotzdem nicht weiterkommt, kann man sich an die IHK wenden. Jede Region hat Ausbildungsberaterinnen und -berater, die sich in den jeweiligen Berufen sehr gut auskennen. Die kommen auch gern in den Betrieb, führen gemeinsame Gespräche mit allen Beteiligten und helfen, eine Lösung zu finden – neutral und wertschätzend.
Außerdem gibt es das Programm „VerA – Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“. Das sind ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren – oft ehemalige Führungskräfte oder Personaler –, die Azubis individuell begleiten und unterstützen, wenn’s Probleme gibt.
Und dann gibt’s noch das Online-Portal „Stark für Ausbildung“ der DIHK. Da finden Ausbildende viele Tipps zu verschiedenen Phasen der Ausbildung – vom Start bis zur Prüfung.
Sibylle:
Und dein eigenes Projekt, die Passgenaue Besetzung, ist ja ebenfalls bundesweit vertreten, richtig?
Stefanie:
Genau, das möchte ich gern ergänzen. Auf der Seite des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) findet man unter dem Stichwort Passgenaue Besetzung alle Beratungsstellen in Deutschland – mit Kontaktdaten und E-Mail-Adressen. Da kann man einfach nachschauen, wer in der eigenen Region zuständig ist.
Jens:
Wenn wir über Konflikte sprechen, dann geht’s ja oft auch um Beziehungen. Wenn man zu jemandem Vertrauen aufgebaut hat, wirft man nicht gleich das Handtuch, sondern bleibt dran. Hast du Tipps, wie man so eine Beziehung in der Ausbildung gut gestalten kann – für beide Seiten?
Stefanie:
Ja – ich würde sagen: ehrliches Interesse zeigen und präsent sein.
Als Ausbilderin oder Ausbilder sollte man regelmäßig den Kontakt suchen: Wie geht’s dir? Wie läuft die Schule? Wie ist’s in der Klasse? Was macht dir Spaß, was stresst dich?
Das klingt banal, aber das zeigt: Ich sehe dich als Mensch.
Und umgekehrt kann man sich auch Feedback holen: „Wie gefällt’s dir bei uns? Hast du Verbesserungsvorschläge?“ – das ist gelebte Augenhöhe.
So entsteht Vertrauen. Und wenn Vertrauen da ist, bleiben junge Menschen auch dann, wenn’s mal schwierig wird.
Jens:
Und am Ende der ganzen Geschichte steht – wenn es gut läuft – Vertrauen: vom Unternehmen gegenüber den Auszubildenden und natürlich auch umgekehrt. Ohne Vertrauen wird es einfach nicht funktionieren, so ein Ausbildungsverhältnis.
Was glaubst du, Stefanie, was ist der Schlüssel dafür? Wie können Unternehmen es schaffen, eine richtig gute, vertrauensvolle Beziehung zu ihren Auszubildenden aufzubauen?
Stefanie:
Also ich glaube, man muss erst einmal erkennen, dass junge Menschen in einem Alter sind, in dem sie einfach anders ticken als wir – also „wir“ in Anführungszeichen, die schon etwas älter sind. Sie überdenken nicht jeden Schritt, handeln manchmal spontan – und dann muss ich auch mal Verständnis zeigen. Vielleicht einfach spiegeln und sagen: „So und so wäre es schön gewesen, wenn du das anders gemacht hättest. Beim nächsten Mal bitte darauf achten.“
Aber eben mit Verständnis für die Adoleszenzphase, die dazugehört.
Vertrauen entsteht, wenn ich jemandem einen Vertrauensvorschuss gebe – natürlich individuell angepasst. Wenn jemand noch viel Anleitung braucht, ist das okay, aber man kann Verantwortung ja Schritt für Schritt aufbauen. Es gibt tolle Modelle: In manchen Firmen dürfen Azubis kleine eigene Projekte übernehmen oder sich kreativ in Azubi-Programmen einbringen.
Und dann ist es wichtig, Feedback zu geben: „Mensch, das hast du toll gemacht!“ Oder: „An der Stelle kannst du noch etwas verbessern, aber super Einsatz.“
Das stärkt Selbstvertrauen.
Und Fehler? Die gehören einfach dazu. Kein Mensch wird als Expertin oder Experte geboren. Man muss Fehler machen dürfen, um zu lernen. Wichtig ist, dass man den jungen Menschen signalisiert: „Du darfst dich ausprobieren. Wenn was schiefgeht, ist das kein Drama – wir helfen dir.“
So entsteht Vertrauen.
Sibylle:
Wir haben jetzt schon über die vielen Ausbildungsverhältnisse gesprochen, die leider vorzeitig gelöst werden – rund 150.000 pro Jahr. Aber die meisten brechen ja nicht komplett ab, sondern starten nochmal neu. Hast du Erfahrung, ob es beim zweiten Mal oft besser klappt?
Stefanie:
Ja, in der Regel schon. Ich habe keine konkreten Zahlen, aber meine Erfahrung zeigt: Wenn jemand die Ausbildung ein zweites Mal beginnt, ist die Entscheidung sehr bewusst. Die jungen Menschen überlegen sich genau, bei welchem Unternehmen sie einsteigen wollen und ob sie wirklich ins Team passen.
Das Thema Unternehmenskultur spielt eine große Rolle. Eine gescheiterte Ausbildung bedeutet ja nicht, dass jemand „schuld“ ist – manchmal passt es einfach menschlich nicht.
Beim zweiten Anlauf achten die meisten viel stärker auf das Miteinander, auf die Stimmung, auf Werte. Das gilt übrigens auch für Studienabbrecherinnen und -abbrecher. Die machen sich meist viele Gedanken, reflektieren, was sie wirklich wollen, und gehen den neuen Weg dann verbindlicher.
Deshalb: Ja, die zweite Runde klappt in den allermeisten Fällen deutlich besser.
Jens:
An dieser Stelle noch eine kleine Einladung an alle, die ihre Personalarbeit nachhaltig verbessern möchten: Schauen Sie doch mal auf kofa.de vorbei und tragen Sie sich für den Newsletter ein – da gibt’s monatlich neue Infos, die wirklich weiterhelfen.
Sibylle:
Genau, und passend zum Thema gibt’s jetzt noch unser KOFA to go – Wissen zum Mitnehmen.
Konflikte in der Ausbildung können vorkommen – entscheidend ist, wie man damit umgeht. Worauf Betriebe achten sollten, das fasst Stefanie Wiedrey jetzt nochmal in drei kurzen Tipps zusammen.
Stefanie:
Mein erster Tipp wäre: gegenseitiges Interesse, gegenseitiger Respekt und viel Wertschätzung.
Zweitens: Das lässt sich transportieren, indem man regelmäßig miteinander spricht – also feste Feedbackgespräche plant und sich auch mal das Feedback der Azubis einholt.
Und drittens: Begeisterung vorleben. Wer mit Freude arbeitet und andere anleitet, steckt an – und so entsteht Motivation auf beiden Seiten.
Sibylle:
Ganz wunderbar! Vielen Dank, Stefanie Wiedrey von der Brücke Ostwestfalen, für deinen Besuch hier bei uns auf dem Sofa.
Stefanie:
Sehr gerne – vielen Dank euch beiden! Es hat Spaß gemacht, und ich nehme selbst auch einiges für meinen Alltag mit.
Jens:
Beim nächsten Mal wird Till Gurke unser Gast sein – Bäckermeister aus Freiburg. Und er sagt: Fachkräftemangel? Alles gut und schön, aber nicht bei mir in der Backstube!
Sibylle:
Ich freu mich total auf die Folge – ich bin leidenschaftliche Bäckereigängerin, auch im Urlaub. Da teste ich immer sofort, was es an frischem Brot gibt. Ich bin gespannt, wie Till das geschafft hat.
Am 11. September hören wir uns wieder – bei einer neuen Folge von KOFA auf dem Sofa.
Jens:
Bis dahin – machen Sie’s gut, bleiben Sie uns gewogen!
Sibylle:
Tschüss!
Jens:
Tschüss!
Abspann:
KOFA – Fachleute für Fachkräfte. KOFA auf dem Sofa – der Podcast.