
Transkript: Folge 72
Welcome! Türen auf für internationale Fachkräfte
KOFA auf dem Sofa – Der Podcast
Sibylle:
Es ist schon ein paar Folgen her, aber das Thema ist immer noch hochaktuell.
Jens:
Herzlich willkommen! Schön, dass Sie mit dabei sind. Hier sind wir wieder – aus Köln, auf dem Sofa im November. Hallo und herzlich willkommen auch von mir, hallo liebe Sibylle. Immer wieder schön, das Sofa mit dir zu teilen.
Sibylle:
Im Frühjahr haben wir Ihnen die Metzgerei Bösenbach vorgestellt und deren Lösung gegen den Fachkräftemangel. Sie haben drei junge Menschen aus Indien nach Südbaden geholt und bilden sie dort aus. Das ist natürlich ein Konzept, das auch mit anderen Fachkräften funktioniert. Die große Herausforderung besteht allerdings meist darin, im Ausland geeignete Mitarbeitende zu finden – und sie anschließend erfolgreich ins eigene Unternehmen zu integrieren.
Unser heutiger Gast kennt sich damit bestens aus – und hoffentlich auch mit den passenden Lösungen. Bei uns ist Anne Strohmann von der IHK Offenbach am Main. Hallo Anne, schön, dass du da bist!
Anne:
Hallo, vielen Dank für die Einladung!
Sibylle:
Herzlich willkommen bei uns, liebe Anne! Ich freue mich besonders, dass du da bist – denn viele Unternehmerinnen und Unternehmer sagen uns: „Wir würden ja gerne, aber wir wissen gar nicht, wo es Unterstützung gibt.“ Deshalb bin ich gespannt zu hören, wie internationale Fachkräfterekrutierung in der Praxis funktioniert und welche Unterstützung Unternehmen bei euch bekommen können.
Vielleicht noch kurz zur Einordnung: Du bist Fachkräfteberaterin bei der Industrie- und Handelskammer Offenbach am Main und arbeitest im Projekt „Hand in Hand for International Talents“. Ich würde sagen – da ist einiges zu tun, oder?
Anne:
Ja, auf jeden Fall. Die Anfragen nehmen stark zu, und das Thema ist bei vielen Unternehmerinnen und Unternehmern sehr präsent.
Jens:
Wenn man Fachkräfte aus dem Ausland holen möchte, spielt ja das Fachkräfteeinwanderungsgesetz eine große Rolle. Das wurde ja überarbeitet, weil alles zu bürokratisch war und zu lange gedauert hat. Ist es denn wirklich besser geworden?
Anne:
Ich denke, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiger Schritt, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Natürlich gibt es noch viele Hürden, die wir in der Praxis bewältigen müssen.
Ein Weg, wie wir das Gesetz konkret umsetzen, ist das Projekt „Hand in Hand for International Talents“, das ich für die IHK Offenbach begleite – stellvertretend für das gesamte Projektteam.
Sibylle:
Wer ist denn da alles mit an Bord? Magst du kurz erzählen, seit wann es das Projekt gibt und wer mitmacht?
Anne:
Das Projekt läuft seit Februar 2020. Es wurde von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und der Bundesagentur für Arbeit ins Leben gerufen.
Inzwischen sind auch die deutschen Auslandshandelskammern (AHKs) in Indien, Brasilien und Vietnam beteiligt, außerdem die IHK FOSA, also die zentrale Anerkennungsstelle für IHK-Berufsabschlüsse. Aktuell wird das Projekt in sieben Pilotregionen in Deutschland umgesetzt.
Jens:
Und was genau ist eure Aufgabe?
Anne:
Wir begleiten Unternehmen Schritt für Schritt durch den gesamten Prozess. Die Verfahren sind sehr bürokratisch, mit vielen einzelnen Schritten und Zuständigkeiten. Viele Unternehmen schieben das Thema deshalb erst einmal auf – und genau da setzen wir an.
Die Unternehmen haben bei uns feste Ansprechpersonen vor Ort. Wir unterstützen sie von der Rekrutierung über die Einstellung und Einreise bis hin zur Integration – alles aus einer Hand.
Sibylle:
Wie läuft das in der Praxis? Kommen die Unternehmen mit einer konkreten Anfrage zu euch, oder sprecht ihr sie aktiv an?
Anne:
Beides. Manche Unternehmen haben noch gar nicht über internationale Fachkräfte nachgedacht. Andere kommen mit sehr konkreten Problemen: offene Stellen, fehlende Bewerbungen, unbesetzte Aufträge.
Das Projekt „Hand in Hand“ ist deshalb so beliebt, weil es eine enge Rundumbetreuung bietet. Aktuell konzentrieren wir uns auf drei Branchen: Hotellerie und Gastronomie, IT und Elektrotechnik – also Bereiche mit besonders hohem Bedarf.
Jens:
Um es konkret zu machen: Wenn jetzt der Elektromeister Meier zu dir kommt und sagt, er findet keine Fachkräfte – wie läuft das dann ab?
Anne:
Das passiert tatsächlich regelmäßig. Unternehmen kommen zu uns, weil sie seit Monaten keine Stellen besetzen konnten. Wir klären dann zuerst die Abläufe, informieren über Kosten und Anforderungen. Momentan haben wir einen Pool an Fachkräften, die den Anerkennungsprozess bereits abgeschlossen und im Herkunftsland Sprachkurse auf Niveau A2 oder B1 absolviert haben.
Die Unternehmen können sich aus Kurzprofilen passende Kandidatinnen und Kandidaten aussuchen. Vorstellungsgespräche finden online statt, und wenn beide Seiten einverstanden sind, wird der Arbeitsvertrag geschlossen. Danach läuft die Visumsbeantragung über die Agentur für Arbeit, und wir organisieren die Einreise.
Parallel unterstützen wir die Unternehmen auch bei Themen wie Unterkunftssuche und Integration – denn das ist entscheidend für den Erfolg.
Sibylle:
Das klingt nach viel Arbeit – aber auch nach einem echten Erfolgsmodell.
Anne:
Ja, der Malermeister allerdings nicht – der müsste zur Handwerkskammer gehen.
Jens:
Oh, Entschuldigung!
Anne:
Wenn es zum Beispiel der Meister in Elektrotechnik ist, dann passiert das tatsächlich, dass die bei uns persönlich vorbeikommen und sagen: „Ich konnte seit Monaten keine Stelle besetzen, ich kann keine Aufträge mehr bearbeiten – was kann ich tun?“ Ihr kennt das ja, ihr hattet solche Fälle auch schon im Podcast.
Dann klären wir zuerst die Abläufe, informieren über anfallende Kosten und besprechen, wie der Prozess ablaufen kann. Aktuell ist es so, dass wir im Projekt „Hand in Hand for International Talents“ die Rekrutierung bereits abgeschlossen haben. Das heißt, wir haben einen bestehenden Pool an Fachkräften, die den Anerkennungsprozess schon durchlaufen haben – da sind wir also schon einen Schritt weiter.
Die Fachkräfte haben im Herkunftsland außerdem bereits eine Sprachschule besucht und verfügen über Sprachkenntnisse auf A2- oder B1-Niveau. Sie stehen sozusagen „vor der Tür“ und warten nur noch auf einen Arbeitsvertrag.
Der Elektromeister Meier kann sich dann anhand unserer Kurzprofile passende Kandidatinnen oder Kandidaten aussuchen. Wenn jemand vom Profil her passt, organisieren wir die Vorstellungsgespräche online. Fallen diese positiv aus, kann der Arbeitsvertrag geschlossen werden.
Das Weitere übernehmen wir im Hintergrund – sowohl für das Unternehmen als auch für die Fachkraft. Der Arbeitsvertrag wird von der Agentur für Arbeit geprüft, anschließend wird das Visum beantragt, und wir koordinieren die Einreise.
Parallel dazu nehmen wir auch die Unternehmen in die Verantwortung: Es muss eine Unterkunft gefunden werden, das ist ein sehr wichtiges Thema. Wenn das alles steht, kann die Fachkraft ihre Arbeit aufnehmen.
Jens:
Also viel zu tun, oder?
Anne:
Ja, auf jeden Fall – aber es ist spannend, es macht viel Spaß, und wir hoffen, dass wir mit dem Projekt einen guten Beitrag leisten können.
Sibylle:
Wie lange dauert so ein Prozess im Durchschnitt? Sagen wir, ein Bewerbungsgespräch wurde geführt, man hat sich füreinander entschieden – dann hängt es ja stark davon ab, wie lange die Visa-Bearbeitung dauert, oder?
Anne:
Genau, das ist je nach Land unterschiedlich. Im Best Case kann das innerhalb von vier Wochen gehen. Wenn allerdings der Anerkennungsprozess noch aussteht, dauert es länger. Wenn wir beispielsweise ganz neu rekrutieren müssen, kann es bis zu sechs Monate dauern, bis die Fachkraft tatsächlich im Unternehmen ist.
Jens:
Okay, aber ihr habt ja schon einen Pool an Fachkräften, die den Anerkennungsprozess abgeschlossen haben und sogar Deutsch sprechen. Das sind ja ideale Voraussetzungen, gerade weil das in der Praxis oft die meiste Zeit kostet.
Personal im Ausland zu finden ist das eine – die Menschen hier dauerhaft zu integrieren ist die eigentliche Herausforderung. Wie unterstützt ihr dabei, dass sie sich auch wirklich wohlfühlen und nicht das Gefühl haben, nur als Arbeitskräfte „importiert“ zu werden?
Anne:
Das ist ein wichtiger Punkt. Wir sorgen dafür, dass die Fachkräfte schon in ihrem Heimatland Coachings bekommen – zu Themen wie Arbeitsrecht, Antidiskriminierung und kulturelle Unterschiede. Ganz praktisch wird dabei erklärt, wie das Wetter in Deutschland ist, welche Mentalität hier herrscht, oder was brutto und netto bedeuten – kleine, aber sehr hilfreiche Dinge.
Wir geben auch den Unternehmen Empfehlungen, wie sie die Integration gestalten können. Ein wichtiges Thema ist das Onboarding – das kann man sogar starten, bevor die Fachkraft eingereist ist, etwa durch Online-Rundgänge oder virtuelle Teammeetings.
Außerdem raten wir, das Team frühzeitig einzubeziehen: Mitarbeitende sollten wissen, dass eine internationale Fachkraft kommt, damit Raum für Fragen oder mögliche Vorbehalte entsteht. So kann Akzeptanz wachsen.
Und vielleicht noch ein Tipp: Das IQ Netzwerk Deutschland bietet interkulturelle Trainings und Sensibilisierungsworkshops für Belegschaften an – gerade für Unternehmen, die zum ersten Mal internationale Fachkräfte einstellen. Das kann eine wertvolle Ergänzung zu unserer Unterstützung sein.
Anne:
Genau. Wir haben viele Partner und Netzwerke im Boot, an die wir auch verweisen. Es gibt zum Beispiel Integrationslotsen der Städte, die bei der Begleitung unterstützen. Es gibt schon viele Hilfestellungen und Angebote, die man nur kennen und auf die man hingewiesen werden muss.
Sibylle:
Das ist oft gar nicht so einfach – die richtigen Infos an die Unternehmen heranzubringen. Deshalb hoffe ich, dass dieser Podcast oft geteilt wird. Vielleicht hören ja auch einige zu, die selbst keine internationale Fachkraft einstellen möchten, aber das Projekt Hand in Hand for International Talents weiterempfehlen. Ich finde, das kann man gar nicht bekannt genug machen, weil es wirklich ein wunderbares Instrument ist, um offene Stellen zu besetzen.
Ich hatte vorhin schon mal gefragt, wie man es schafft, die Menschen auch langfristig hier im Land zu halten. Mich würde interessieren, was deine Erfahrungen sind – kommt irgendwann der Punkt, an dem einige sagen: „Ach, mir fehlt die Heimat, ich möchte doch zurück“? Oder gibt es andere Gründe, weshalb manche wieder gehen?
Anne:
Also zunächst einmal haben wir im Projekt eine sehr hohe Verbleibquote von 97,4 Prozent. Das liegt sicher daran, dass die Fachkräfte eng begleitet und gut vorbereitet werden.
Aber natürlich: Heimweh ist ein Thema – ebenso wie familiäre Verpflichtungen. In den wenigen Fällen, in denen jemand zurückgegangen ist, lag es meist an der Pflegebedürftigkeit von Angehörigen oder am sehr engen familiären Zusammenhalt, den man in vielen Ländern kennt.
In einem Fall hatte jemand auch ganz andere Erwartungen an die Arbeit in Deutschland – andere Tätigkeiten, andere Abläufe. Daraus haben wir gelernt: klare Kommunikation und realistische Einblicke sind entscheidend. Ein weiterer Abbruchgrund kann die lange Dauer bei Familiennachzügen sein, weil das ein komplexer bürokratischer Prozess ist.
Jens:
Das heißt, die Fachkräfte kommen zunächst allein nach Deutschland und holen ihre Familien später nach?
Anne:
Genau. Wir versuchen aber, das Thema Familiennachzug von Anfang an mitzudenken und offen anzusprechen. Viele Fachkräfte kommen zunächst allein, absolvieren ihre Probezeit und entscheiden dann, wo sie mit der Familie langfristig leben möchten.
Sibylle:
Mich würde noch interessieren, wie groß die Unternehmen sind, mit denen ihr arbeitet. Gibt es da eine Mindestgröße oder ist das quer durch den Mittelstand verteilt?
Anne:
Das ist wirklich quer durch die Bank. Wir betreuen sehr kleine Betriebe genauso wie größere Unternehmen. Kleinere können oft enger begleiten, während größere Betriebe häufig eigene Ansprechpersonen oder Integrationsbeauftragte haben. Es gibt keine Mindestgröße – entscheidend ist die Offenheit für das Thema.
Jens:
Und gibt es Dinge, die Unternehmen gezielt anbieten sollten, damit sich internationale Fachkräfte wohlfühlen?
Anne:
Ja, auf jeden Fall. Eine klare berufliche Perspektive ist das Wichtigste – also Entwicklungsmöglichkeiten und Orientierung. Genauso wichtig sind soziale Anknüpfungspunkte, etwa über Sportvereine oder lokale Netzwerke, die helfen, Kontakte zu knüpfen.
Was viele Fachkräfte als Motivation nennen, nach Deutschland zu kommen, ist der Wunsch nach einer höheren Lebensqualität – für sich und die Familie. Deutschland gilt immer noch als sehr sicheres und gut organisiertes Land mit kostenloser Schulbildung, guten Karrierechancen und einer hohen sozialen Absicherung.
Sibylle:
Viele gute Gründe also – und du hast recht, manchmal vergessen wir, wie attraktiv Deutschland in dieser Hinsicht ist. Aber es stimmt: Wir müssen das stärker kommunizieren, auch als Unternehmen. Denn nur wenn sichtbar wird, dass wir offen für internationale Fachkräfte sind, kann das auch ankommen.
Und wenn man mal das Umdenken auf dich überträgt, liebe Anne – was müsste passieren, damit du selbst sagen würdest: „Ich gehe ins Ausland, um dort zu arbeiten“? Gäbe es da eine Chance?
Anne:
Sind vielleicht ähnliche Gründe – also eine berufliche Herausforderung? Das würde mich schon interessieren, das würde ich mir schon mal anhören. Und dann eine spannende neue Kultur, da auch etwas zu lernen und mitzunehmen. Also wirklich eine Person, die mir dann auch sagen kann: „Das darfst du da nicht“ oder „Das ist dort anders“. Eine persönliche Unterstützung vor Ort wäre mir wichtig.
Jens:
Also, falls hier jetzt jemand abwirbt – ein kleiner Hinweis in eigener Sache: Wenn Sie sich für Zahlen, Fakten und Analysen rund um das Thema Fachkräftesicherung interessieren, sind Sie auf kofa.de genau richtig. Dort finden Sie regelmäßig neue Studien und Analysen zur Fachkräftesituation – wissenschaftlich fundiert, aber auch nah an der Praxis. Sie finden dort viele wertvolle Inhalte zu moderner und strategischer Personalarbeit. Einfach auf kofa.de klicken und unter Daten und Fakten nachsehen – schon sind Sie da.
Sibylle:
KOFA to go – zum Mitnehmen. Fachkräftegewinnung im Ausland kann eine Herausforderung sein, genauso wie die Integration im Unternehmen.
Anne:
Tipp Nummer 1: Integration funktioniert da gut, wo es Unterstützung und aktives Engagement gibt – und da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Tipp Nummer 2: Es wird einfacher mit der Zeit. Es bilden sich Netzwerke, man kann sich zusammenschließen – man muss einfach nur den ersten Schritt wagen, dann wird es leichter.
Tipp Nummer 3: Es gibt schon viele Unterstützungsangebote, die man nutzen kann, etwa das IQ Netzwerk, die Willkommenslotsen, Integrationslotsen oder die Migrationsberatung der Städte. Auch Verbände sind oft ein guter Ausgangspunkt für Beratung.
Sibylle:
KOFA to go – zurück zum Mitnehmen. Fachkräfteberaterin ist sie und Leiterin des Projekts „Hand in Hand for International Talents“ – Anne Strohmann, danke, dass du heute bei uns warst!
Anne:
Vielen Dank für die Einladung und danke für eure gute Arbeit.
Jens:
Mir hat es großen Spaß gemacht, dir zuzuhören – und ich habe gelesen, dass ihr bereits 50 Fachkräfte erfolgreich in deutsche Unternehmen vermittelt habt. Weiter so! Und im Idealfall wird das Projekt bald auf weitere Regionen in Deutschland ausgeweitet.
Sibylle:
Die nächste Folge wird die letzte in diesem Jahr sein – und darauf dürfen Sie sich freuen! Dann geht es um das Thema Inklusion. Wir haben Dagmar Christkamp, Fachexpertin für Inklusion und Arbeit bei Aktion Mensch, auf unser KOFA-Sofa eingeladen. Ich freue mich sehr auf den Austausch mit ihr!
Jens:
Also, merken Sie sich den 13. Dezember – da sind wir wieder für Sie da. Machen Sie es gut und bis bald!
Beide:
Tschüss!
Abschluss:
Fachleute für Fachkräfte – KOFA auf dem Sofa, der Podcast.