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Transkript: Folge 100

KOFA auf dem Sofa "Jugend im Standby: NEETs als ungenutztes Potenzial für Unternehmen finden"

KOFA auf dem Sofa – dein Podcast für bessere Personalarbeit im Mittelstand.

Präsentiert vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung.

Sibylle:

Hallo und herzlich willkommen bei einer neuen Folge „KOFA auf dem Sofa“.

Ich bin Sybille, beschäftige mich schon seit vielen, vielen Jahren mit dem Thema Fachkräftesicherung und heute haben wir uns ein Thema vorgenommen, das mich auch persönlich sehr beschäftigt. Wir sprechen über die Gruppe der NEETs – das sind junge Menschen, die weder in Education, Employment noch im Training sind. Das heißt: Sie sind nicht in der Schule, nicht im Job und nicht in der Ausbildung. Wir wissen also relativ genau, wo wir diese jungen Menschen nicht finden. Dafür wissen wir aber nicht so genau: Wo sind die eigentlich? Wie geht es denen? Wie können wir ihnen eine Perspektive bieten und sie abholen – auch als Unternehmen –, um sie gut in den Arbeitsmarkt und in unsere Gesellschaft zu integrieren? Wenn ich mich so an meine Zeit erinnere, als ich um die 20 war, da hatte ich ehrlich gesagt das Gefühl, die Welt liegt mir zu Füßen. Ich glaube, das verbinden auch viele Menschen mit der Jugend: eine Zeit, in der viele Wünsche und Hoffnungen da sind. Aber offensichtlich haben wir jetzt eine große Gruppe junger Menschen – nämlich fast jeder Fünfte zwischen 20 und 34 –, der eher im Standby ist, also noch nicht so richtig weiß, wo sein Platz ist. Über diese jungen Menschen möchte ich heute sprechen – mit meinem Gast. Ich freue mich sehr, dass du da bist, lieber Kadim. Du bist seit 2011 bei der Joblinge-Initiative aktiv und seit 2022 sogar CEO. Schön, dass du da bist und uns mal erklärst, was die Joblinge-Initiative eigentlich ist.

Kadim:

Ja, vielen Dank. Ich freue mich, heute hier zu sein. Vielleicht kurz zur Initiative Joblinge: Sie wurde 2008 gegründet – damals mit ganz anderen gesellschaftlichen Herausforderungen. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an den Begriff „Ausbildungspakt“. Damals war es tatsächlich so, dass es für Jugendliche fast schon wie ein Lottogewinn war, wenn man einen Ausbildungsplatz bekommen hat. Das Thema demografische Entwicklung und Fachkräftemangel war damals noch nicht so präsent wie heute, aber in bestimmten Regionen bereits ein Thema. Vor allem das Matching zwischen Jugendarbeitslosigkeit – die damals hoch war – und den Unternehmen hat nicht stattgefunden. Das war der Auslöser für das Konzept, das initiiert wurde von der Eberhard-von-Kuenheim-Stiftung, der BMW AG und der Boston Consulting Group. Sie wollten etwas aktiv für die Gruppe junger Menschen tun, die im sogenannten Übergangssystem sind, also Angebote von öffentlichen Institutionen bekommen, und ein Konzept entwickeln, das ihnen den direkten Übergang in den ersten Ausbildungsmarkt ermöglicht. Konzipiert wurde das Ganze als Social Franchise: lokal gegründet von verschiedenen Wirtschaftsvertretern mit dem jeweiligen Gründungskapital, als gemeinnützige Aktiengesellschaft, öffentlich gefördert mit einem hauptamtlichen Team. Ziel war es, zunächst an einem Standort 80 bis 120 junge Menschen zu betreuen und sie so vielen wie möglich in Ausbildung zu vermitteln. Die Rechtsform der gemeinnützigen Aktiengesellschaft wurde sehr bewusst gewählt, um Transparenz zu schaffen und einen klaren Fokus auf die Wirkung zu legen. Wir veröffentlichen jedes Jahr unsere Kennzahlen und zeigen, wie wir operativ und finanziell gewirkt haben – der Fokus liegt also ganz klar auf dem Impact. Die Mission war, das Konzept skalierfähig in die Regionen zu tragen. Angefangen haben wir in Bayern, dann kam München dazu, Berlin, Frankfurt – dort bin ich dazu gestoßen – und dann viele weitere Standorte. Heute sind wir 9 gemeinnützige Aktiengesellschaften, die an 30 Standorten junge Menschen betreuen – rund 2000 pro Jahr. Die Vermittlungsquote hat sich bereits zu Beginn, also um 2011, bei 80 % eingependelt, und wir halten diese Quote bis heute, trotz des Wachstums. Auch die Nachhaltigkeitsquote – also der Verbleib in der Ausbildung nach den ersten sechs Monaten, die als kritischste Phase gilt – liegt bei annähernd 90 %. Wir begleiten die Jugendlichen also auch nach Ausbildungsbeginn weiter, um sie bis zum Ende der Ausbildung zu unterstützen. Das ist unsere Kernmission. Unsere Zielgruppe sind vor allem Jugendliche, die staatliche Transferleistungen beziehen – größtenteils also Hartz IV (heute Bürgergeld) aus dem Rechtskreis SGB II. An einigen Standorten arbeiten wir auch mit der Bundesagentur für Arbeit (SGB III) und teilweise mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Aber der Kern unserer Arbeit liegt bei den langzeitarbeitslosen jungen Menschen.

Sibylle:

Du kennst dich also mit der Rechtslage sehr gut aus und hast uns erzählt, wie die Gesellschaftsform ist. Aber du bist ja kein Schreibtischtäter, sondern kommst aus der Jugendarbeit. Kannst du uns mal erklären, wo aus deiner Sicht die Probleme oder Herausforderungen liegen – insbesondere, wenn es darum geht, dass Ausbildungsbetriebe und die jungen Menschen gut zusammenfinden und auch zusammenbleiben?

Kadim:

Ja, das kann man – wie so oft im Leben – nicht mit einer knackigen Antwort beschreiben. Ich würde sagen, dass wir viel zu oft darüber reden, wie es dem einzelnen Jugendlichen individuell geht. Ich bin ein großer Freund davon, erst einmal das System zu betrachten, in dem sich die Jugendlichen bewegen. Wenn wir darauf schauen, stellen wir fest: Wir bieten Jugendlichen am Übergang von Schule zu Beruf eigentlich kein aktives Angebot. Das heißt: Wenn ich den Anschluss nicht schaffe, muss ich mich als Jugendlicher selbst an jemanden wenden. Und das ist schon eine Hürde, die wir selbst geschaffen haben. Viele Jugendliche wissen das gar nicht – und ihnen wird dann mangelndes Interesse vorgeworfen. Das ist das erste Dilemma: Es ist keine bewusste Entscheidung gegen etwas. Eine Entscheidung setzt voraus, dass es ein Angebot gibt. Wir müssen uns also klarmachen, dass diese Jugendlichen nicht permanent Angebote ablehnen, sondern dass ihnen diese Angebote oft gar nicht gemacht werden. Zweitens müssen wir uns fragen, ob unsere Hilfssysteme Chancen verbessern oder ob sie eher separieren und isolieren. Unsere Zielgruppe darf oft nur innerhalb ihres eigenen Kollektivs betreut werden. Förderlogiken sind häufig defizitorientiert. Dadurch schaffen wir eine Zielgruppe, die unter sich bleibt und innerhalb dieser Gruppe lernen soll, dass sie etwas anderes will. Die Frage ist: Fördern wir soziale Mobilität? Schaffen wir Startrampen für Erfolgsgeschichten oder halten wir eher den Status quo aufrecht? Das alles kommt bei den Jugendlichen an. Hinzu kommt die latente Überforderung nach dem Schulabschluss. Man muss sich klar machen: Kaum jemand trifft sich in der 10. Klasse nachmittags mit Freunden und diskutiert ernsthaft, was er einmal werden will. Dazu kommt, dass die Persönlichkeit sich in dieser Phase gerade erst entwickelt. Das ist spannend, aber Jugendliche sind in dieser Phase auch besonders anfällig. Letztlich ist es die Summe der Angebote – und die ist oft gleich null. Dann fehlt Selbstsicherheit und Bewusstsein für die eigenen Möglichkeiten. Natürlich gibt es auch Familien, in denen bereits die dritte Generation staatliche Leistungen bezieht. Wer in bestimmten Milieus verhaftet ist, hat oft keine anderen Vorbilder. Aber unterm Strich müssen wir uns fragen: Wie schnell schieben wir Jugendlichen die Verantwortung dafür zu, dass etwas nicht funktioniert? Aus meiner Sicht passiert das viel zu schnell.

Sibylle:

Und was macht ihr da anders bei Joblinge? Also wie schafft ihr es, Brücken zu bauen und auch diese jungen Menschen zu erreichen, die vielleicht vorgelebt bekommen: „Hey, warum denn arbeiten gehen?“ oder die gar keine Unterstützung dabei bekommen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren. Was macht euch da konkret aus?

Kadim:

Also, ich scheue mich manchmal vor solchen großen Aussagen, aber es trifft die Wahrheit: Es ist immer sehr individuell. Wir haben das Bewusstsein, dass wir nicht von einer homogenen Gruppe Jugendlicher sprechen. Es sind sehr unterschiedliche Charaktere, die auch sehr unterschiedliche Herangehensweisen brauchen. Deshalb würde ich als Erstes sagen: Wir haben eine Vielfalt an Interventionen, die wir uns aneignen und bei denen wir auch darauf achten, dass wir eine Vielfalt im Team haben – sowohl bei den Angeboten als auch in der Qualität. Die erste Qualität ist sicher: Die Summe der Angebote muss am Ende höher sein als die Zahl der Teilnehmenden. Das bedeutet: Wir brauchen Arbeitgeber, die bereit sind, diesen Jugendlichen eine Chance zu geben, sodass überhaupt eine Alternative entsteht und nicht eine Einbahnstraße. Das Zweite ist: Der Erwartungshorizont der Jugendlichen wird bei uns immer durchbrochen. Viele erwarten, dass wir sie zunächst bemitleiden: „Oh, du Armer, wie geht es dir?“ und dass wir sie erst einmal trösten und freuen, dass sie da sind. So ist es aber nicht. Wir sagen: „Du kommst hierher, du bekommst ein Angebot. Das wird dir einiges abverlangen. Dafür stehen wir aber alle an deiner Seite.“ Darüber hinaus braucht es Role Models – und das sind nicht nur wir. Unsere Mentorinnen und Mentoren sind ein zentraler Bestandteil. Ich bin ein großer Befürworter von Mentoring und Vorbildern. Das war auch eines der Dinge, die mich damals überzeugt haben, zu Joblinge zu gehen. Ich habe mich immer gefragt: „Wer soll das machen? Wer nimmt sich über sechs Monate Zeit, um Jugendliche im 1:1-Verhältnis zu betreuen?“ – und genau das ist es, was die Jugendlichen überzeugt: Jemand aus dem Berufsleben nimmt sich die Zeit, ich baue mir ein berufliches Netzwerk auf. Dazu kommen pädagogische Angebote, die oft auch im kulturellen Bereich liegen und die Persönlichkeitsentwicklung stärken. Wir zeigen den Jugendlichen: „Du kannst alles schaffen. Manchmal stehst du dir nur selbst im Weg. Und wenn du Unterstützung brauchst, dann schauen wir, welche Unterstützung passt.“ Das ist sehr unterschiedlich: Manche Jugendlichen bekommen von uns zunächst die „kalte Schulter“, andere die volle Umarmung, wieder andere einen Schubs nach vorn. Es wirkt sehr unterschiedlich und darüber machen wir uns viele Gedanken. Wir standardisieren relativ wenig, weil wir diesen Freiraum brauchen – und auch die Jugendlichen brauchen diesen Freiraum.

Sibylle:

Das kann ich total gut nachvollziehen. Jetzt haben wir uns die eine Seite angesehen – die jungen Menschen, um die ihr euch kümmert. Ich glaube, manche Unternehmen könnten in der aktuellen Lage am Ausbildungsmarkt auch eine Umarmung vertragen. Bei 70.000 unbesetzten Ausbildungsstellen: Was würdest du denn den Unternehmen raten? Müssen auch sie sich verändern, damit junge Menschen – gerade wenn man sich gefunden hat – dann auch bleiben? Viele Unternehmerinnen und Unternehmer erzählen mir, dass sie von Auszubildenden „geghostet“ werden oder dass diese zwar in den ersten Wochen kommen, dann aber unpünktlich werden oder gar nicht mehr erscheinen. Was kann man auf der anderen Seite tun?

Kadim:

Das ist eine Frage, die mir oft begegnet. Man kann mich vielleicht manchmal als Anwalt der Jugendlichen etwas „nervig“ finden. Aber Tatsache ist: Gerade bei den Unternehmen gibt es oft ein Bewusstseinsthema. Viele Unternehmen hatten über Jahre sehr viele Bewerbungen und konnten selektieren. Die Frage ist: Habe ich heute immer noch den Anspruch zu selektieren? Wenn man die demografische Entwicklung und den Fachkräftemangel betrachtet, dann muss man sagen: Nein. Trotzdem gibt es in beiden Richtungen ähnliche Erfahrungen. Viele Jugendliche erzählen, dass auch sie von Unternehmen „geghostet“ werden. Es ist also eine beidseitige Erfahrung. Die Frage lautet: Rekrutiere ich oder selektiere ich? Wenn ich rekrutiere, muss ich mich fragen: Was suche ich? Worauf lege ich wirklich Wert? Und wenn ich dann nur die Schulnoten als Filter nehme – und das ist ein sehr heikles Thema –, dann passiert Folgendes: Man erhofft sich zunächst viele Bewerbungen, um dann mit den Schulnoten als Filter zu arbeiten. Am Ende bleibt aber vielleicht etwas übrig, das nicht wirklich passt. Deshalb: Je besser ich als Unternehmen weiß, was ich eigentlich suche, desto gezielter kann ich rekrutieren. Unsere Partnerunternehmen haben oft eine relativ klare Vorstellung davon, was ihnen wichtig ist – und das ändert sich nicht ständig. Da geht es um Fragen wie:

– Lege ich Wert auf soziale Kompetenzen?

– Auf welche Persönlichkeitseigenschaften kommt es mir an?

Wir haben z.B. Jugendliche, die sehr extrovertiert sind und alle um den Finger wickeln können, die aber wenig verlässlich sind. Das ist dann die Herausforderung, die ich mir ins Unternehmen hole. Deshalb muss ich mir klar machen: Welche Anforderungen stelle ich und welche Herausforderungen kommen damit auf mich zu? Wir unterstützen Unternehmen dabei sehr gern. Soziale Verantwortung bedeutet nicht, dass sie Hausbesuche machen oder Jugendliche zu Beratungsangeboten begleiten müssen. Dafür sind wir da. Unternehmen können unsere Angebote nutzen und sich Expertise an die Seite holen. Ich glaube, das funktioniert sehr gut.

Sibylle:

Finde ich super, denn viele Unternehmen wissen gar nicht, welche Unterstützungsmöglichkeiten sie in Anspruch nehmen können. Es gibt Joblinge, es gibt Programme der Bundesagentur für Arbeit wie z.B. AsA flex, es gibt Sozialarbeiterinnen und -arbeiter oder Expertinnen und Experten, die unterstützen. Und das ist wahrscheinlich ein guter Denkanstoß für Unternehmen, die sagen: „Wir haben keine Zeit, uns mit Jugendlichen mit Startschwierigkeiten auseinanderzusetzen, wir brauchen sofort einsatzfähige Kräfte.“ Denn man muss überlegen: Welche Ressourcen kostet es, wenn man seine Stellen nicht besetzt und die Fachkräfte von morgen nicht selbst ausbildet? Du hast gerade von Partnerunternehmen gesprochen. Wenn ich mir als kleines oder mittleres Unternehmen vorstellen kann, mit euch zusammenzuarbeiten: Wie funktioniert das? Kann ich auch Mentorin werden? Wo melde ich mich? Was verlangt ihr von mir, wenn ich mitmachen möchte? 

Kadim:

Wir verlangen eigentlich gar nicht viel – außer die Bereitschaft, sich zu engagieren. Das Engagement ist vielfältig. Ein persönliches Engagement als Mentorin oder Mentor halte ich immer für besonders wertvoll, weil man dabei mit einem ganz anderen Blickwinkel an die Sache herangeht. Das ist aber eine individuelle Entscheidung. Von Partnerunternehmen wünschen wir uns vor allem, dass wir dort Praktikumsplätze anfragen und bekommen können – ob kurz, mittel- oder langfristig. Wir möchten, dass Jugendliche auch die Chance haben, Unternehmen kennenzulernen, z.B. durch Unternehmensvorstellungen bei uns, um eine größere Gruppe zu erreichen. Ansonsten läuft alles über den normalen Bewerbungsprozess, den wir versuchen, besser zu steuern. Wir sprechen mit den Jugendlichen, bereiten sie auf die Berufe vor und je besser wir verstehen, was das Unternehmen sucht, desto besser können wir matchen. Das Unternehmen sollte vor allem bereit sein, etwas Zeit in die Auswahl zu investieren. Je besser wir das gemeinsam machen, desto weniger Aufwand haben wir später. Das Ganze ist weder an eine finanzielle Unterstützung noch an andere Verpflichtungen gekoppelt. Wie du gesagt hast: Es gibt viele Angebote und wir helfen dabei, sich zu orientieren und zu unterstützen. Man muss vor allem die Bereitschaft mitbringen – mehr braucht es nicht. 

Sibylle:

Ich würde dich gern noch auf ein relativ neues Projekt ansprechen: das Projekt Plan A. Wir haben ja beide das Ziel, die Ausbildung in Deutschland wieder zu stärken und voranzubringen. Früher war das ja das große Aufstiegsversprechen: Aufstieg durch Bildung – und damit war oft ein Studium verbunden. Das kann für einige richtig sein, ist aber nicht für alle der passende Weg. Erzähl uns: Was ist Plan A? Worum geht es dabei? 

Kadim:

Die Gruppe der NEETs, die wir vorhin angesprochen haben, ist für uns ein ganz zentrales Thema. Man muss sich das so vorstellen: Wir als Joblinge-Mitarbeitende – rund 300 an den Standorten – warten normalerweise darauf, dass uns die öffentliche Hand, also Jobcenter oder Bundesagentur für Arbeit, die Jugendlichen zuweist. Mit ihnen arbeiten wir dann. Das haben wir jahrelang so gemacht, aber wir haben gemerkt: Es wird immer schwieriger, diese Gruppen zu erreichen und „voll zu kriegen“. Gleichzeitig wächst die Gruppe der Jugendlichen, die nirgendwo im System auftaucht, sich dem entzieht. Da haben wir gesagt: Wir können nicht stillschweigend zusehen, dass diese Gruppe immer größer wird. Und da kommen wir zu einem Grundsatz, den ich gern zur Diskussion stellen möchte: Jugendliche, die Bürgergeld beziehen, sind im System erfasst und bekommen Angebote. Andere Jugendliche, die nicht im System sind, bekommen diese Angebote nicht. Das ist ein fatales Signal: „Wenn du arm genug bist, bekommst du Unterstützung. Wenn du den Weg nicht findest, dann eben nicht.“ Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen selbst aktiv werden, wir müssen diese Jugendlichen aktivieren. Wir alle haben das Problem, dass wir nicht genau wissen: Wo sind diese Jugendlichen, was denken sie, warum tun sie nichts? Das war der Auslöser für Plan A: Wir wollten herausfinden, wie wir Jugendliche aktivieren und ihnen ein ganz konkretes Angebot machen können – direkt dort, wo sie sind. Die ersten Schritte waren: Wir sind auf die Straße gegangen, haben Jugendliche angesprochen: „Hast du eine Ausbildung?“ – „Nein.“ – „Willst du eine? Wir können sofort loslegen.“ Die Jugendlichen waren zunächst skeptisch: „Kostet das etwas? Wer seid ihr?“ Aber wir konnten ihnen vermitteln: „Wir wollen dich unterstützen, eine Ausbildung zu finden.“ Wir haben gemerkt: Die Jugendlichen sind bereit, sie lassen sich aktivieren und setzen sich mit diesen Fragen auseinander. Natürlich haben wir in diesem Prozess viel gelernt und sicher auch Fehler gemacht – besonders bei der Straßenansprache und den Social-Media-Aktivitäten. Wir haben uns den Markt angeschaut und festgestellt: Wenn ein Jugendlicher nicht genau weiß, was er machen möchte, landet er auf Jobbörsen oder Unternehmenswebsites mit Hochglanz-Imagefilmen. Aber echte Inspiration gibt es dort kaum. Das wollten wir ändern. Plan A begann also mit Online- und Straßenaktivierung. Mit großem Respekt vor der Arbeit der öffentlichen Hand, die das seit Jahrzehnten macht, sagen wir: Wir müssen hier gemeinsam anpacken. Wir sprechen Jugendliche direkter und schneller an und sagen: „Willst du eine Ausbildung? Du kannst eine haben. Es gibt genug Stellen. Sei aktiv. Was willst du? Warum willst du das? Bist du dir sicher?“ Das ist Plan A.

Sibylle:

Wow, danke, Kadim. Ich nehme auf jeden Fall mit: Das ist ein gesellschaftliches Thema, das wir gemeinsam anpacken können – wo die Unternehmen etwas tun können, wo ihr etwas tut und wo die jungen Menschen auch gefordert werden. Also auch die Botschaft an Unternehmen: Man muss nicht alles recht machen und permanent anschieben, sondern irgendwann auch an die Eigenverantwortung appellieren. Dabei brauchen diese jungen Leute mitunter Unterstützung.

Wissen zum Mitnehmen.

Kadim, ich möchte dich gern einladen, noch einmal deine drei Haupttipps loszuwerden: Wie können Jugendliche im „Standby“ für Unternehmen gewonnen werden – und damit vielleicht sogar einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten?

Kadim:

Ja, wenn wir das zusammenfassen: Erstens: Talent statt Zeugnis – also nicht nur auf die Schulnoten schauen. Welche Person will ich eigentlich? Welche Kompetenzen sind für mich entscheidend? Dazu sollte man sich ganz konkret Gedanken machen. Zweitens: Früh Praxis ermöglichen – also Praktika anbieten, Jugendlichen Einblicke in den Berufsalltag geben, Unternehmensvorstellungen machen und insgesamt überlegen: Wie mache ich Ausbildung allgemein attraktiv, vielleicht auch über das eigene Feld hinaus? Drittens: Engagement und Role Models – Volunteering, Vorbilder aus der Praxis. Wir alle haben eine berufliche Geschichte, die wir viel mehr erzählen und zugänglich machen sollten. Wenn wir ehrlich sind: Der Perspektivwechsel hilft. Wir waren alle mal „Chaoten“, und viele von uns sind selbst erstaunt, wo wir gelandet sind und wie schwierig es zwischendurch war. Das sollten wir Jugendlichen zugestehen: Sie brauchen Bestärkung und Zugänge.

Sibylle:

Wissen zum Mitnehmen.

Ganz, ganz herzlichen Dank – ich konnte viel mitnehmen, und ich hoffe, ihr da draußen beim Zuhören auch. Das war Kadim Tas, CEO von JOBLINGE. Nehmt das mit, tragt es raus, erzählt euren Kindern, Freund*innen und Familien davon – und gebt uns gern Feedback zu dieser Folge. Wir freuen uns, wenn ihr in zwei Wochen wieder dabei seid. Dann sind Letizia und Miriam für euch da – mit dem Thema „Resilienz im Unternehmen stärken“. Bis dahin: Macht’s gut und tschüss!

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