Arbeitszeiterfassung - was gilt nun?
Veröffentlicht: 18. Oktober 2022
Status Quo
Am 13. September dieses Jahres entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass Arbeitgeber bereits nach geltendem Recht verpflichtet sind, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Dies setzt Unternehmen teilweise unter Zugzwang und offenbart eine rechtliche Grauzone.
Bereits im Jahr 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem „Stechuhrurteil“ (EuGH, Urt. v. 14.05.2019 – C-55/18) mit Verweis auf die europäische Arbeitszeitrichtline eine Pflicht zur (Vollzeit-)Erfassung der Arbeitszeit festgelegt. Doch die Juristen waren sich recht einig: In Deutschland muss erst der Gesetzgeber aktiv werden und die Vorgaben des EuGH umsetzen. Aber bis heute gibt es keine entsprechende Gesetzesnovelle in Deutschland, die die EuGH-Vorgabe in nationales Recht überführt. Daher haben viele Unternehmen erst einmal abgewartet, was eine Änderung ihrer Arbeitszeitpraxis betrifft.
Was nun?
Wie genau die Zeiterfassungspflicht umgesetzt werden soll, steht noch aus. Fest steht jedoch bereits jetzt, dass Arbeitgeber aus Arbeitsschutzgründen grundsätzlich dazu verpflichtet sind, die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Bisher war es für die meisten Arbeitgeber ausreichend, lediglich Überstunden und Sonntagsarbeitszeit zu erfassen. Die Zeiterfassungspflicht kann der Arbeitgeber sogar auch auf die Mitarbeitenden übertragen. Das wird sich in Zukunft ändern. Unternehmen müssen nun flächendeckend fälschungssichere Systeme zur umfassenden Arbeitszeiterfassung einrichten. Diesen soll sich die wöchentliche Arbeitszeit, die Pausenzeiten und die Ruhezeiten zwischen Ende eines Arbeitstages und Anfang des nächsten Arbeitstages entnehmen lassen.
Grundsätzlich gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits ab sofort. Nichtsdestotrotz müssen Arbeitgeber nicht überstürzt reagieren. Zwar sieht das Arbeitszeitgesetz ein Bußgeld bei Verstoß gegen die Auszeichnungspflicht von Überstunden vor, jedoch ist die Grundlage für die Pflicht zur allgemeinen Arbeitszeiterfassung das Arbeitsschutzgesetz. Das knüpft wiederum keine unmittelbaren Folgen an Verstöße. Erst wenn einer entsprechenden Anordnung einer Arbeitsschutzbehörde nicht Folge geleistet wird, kann ein Bußgeld verhängt werden.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigte zudem an, Lösungen finden zu wollen, "die in der betrieblichen Wirklichkeit handhabbar sind".
Was heißt das Urteil für die Vertrauensarbeitszeit?
Vertrauensarbeitszeit bedeutet nicht, dass sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an keine Arbeitszeitvorgaben halten müsse. Die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes galten auch bereits vor dem Urteil des EuGH und des BAG uneingeschränkt. Ein grundsätzlicher Verzicht auf die Dokumentation der Arbeitszeit ist jedoch nicht mehr möglich. Hierzu sagte die Präsidentin des BAG, Inken Gallner, dass Deutschland durchaus Gestaltungsspielraum über das "Wie" der Arbeitszeiterfassung habe. Nur das "Ob" der Zeiterfassung stehe fest. Dies bedeutet in Zukunft einige Neuerungen, insbesondere für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Vertrauensarbeitszeit. Der Grundsatz, dass Arbeitnehmende auch zukünftig kommen und gehen können, wann sie wollen und der Arbeitgeber darauf vertraut, dass sie ihre vertragliche Arbeitszeit erfüllen, gilt weiter. Es ist aber damit zu rechnen, dass auch bei Arbeitnehmenden mit Vertrauensarbeitszeit nachvollziehbar sein muss, ob die Mindestanforderungen des Arbeitszeitrechts eingehalten werden.
Fazit
Auch wenn kein überstürzter Handlungsbedarf besteht, sollten Arbeitgeber nicht zu lange warten und sich zwingend darüber Gedanken machen, welches Zeiterfassungssystem für das eigene Unternehmen sinnvoll und umsetzbar ist und wie es eingeführt werden könnte. Wenn Arbeitgeber ein elektronisches Zeiterfassungssystem einführen, ist hierbei immer zu beachten, dass der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen zur Überwachung des Verhaltens der Mitarbeitenden (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) hat.