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Pflege zum Thema machen

Experteninterview mit Christiane Flüter-Hoffmann

Personalpolitik-Expertin Christiane Flüter-Hoffmann erklärt, wie sich die Unterstützung von Mitarbeitern mit pflegebedürftigen Angehörigen bezahlt macht.

Wie können Unternehmen ihre Mitarbeiter bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf unterstützen? Und warum sollten sie dies tun? „Gesunde, motivierte und loyale Mitarbeiter sind in Zeiten des demografischen Wandels ein hohes Gut“, sagt Christiane Flüter-Hoffmann, Projektleiterin für „Betriebliche Personalpolitik“ am Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

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Alle sprechen von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hat sich das Bewusstsein bei den Arbeitgebern geschärft, dass nicht nur Kinder, sondern auch Eltern Teil der Familie sind, für die Berufstätige im Pflegefall Zeit brauchen?

Flüter-Hoffmann: Ja, in vielen Unternehmen sagen die Personalverantwortlichen inzwischen sogar, das Thema Kinder ist schon fast erledigt und vom Thema Pflege überholt worden. Viele Unternehmen sehen das Thema wie eine Riesenwelle, die da auf uns zurollt, und sie können noch gar nicht einschätzen, was das für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt bedeutet. Aber sie haben erkannt, dass sie etwas tun müssen, weil immer mehr Menschen im Betrieb davon betroffen sind.

Was sind das für Unternehmen, die sich hier engagieren: große, kleine Unternehmen, zum Beispiel auch der Handwerksbetrieb von nebenan?

Ein Foto von Christiane Flüter-Hoffmann vor einem blauen Hintergrund.

Das geht quer durch die Bank. Oft sind es auch die Chefs, die selbst betroffen sind und merken, ich kann ja jetzt plötzlich gar nicht mehr Vollzeit arbeiten und brauche ganz schnell eine Auszeit, um Dinge zu organisieren. Manchmal kommt es aber auch von den Beschäftigten selber.

Christiane Flüter-Hoffmann

Viele Arbeitnehmer verschweigen die Doppelbelastung, nicht wenige fallen früher oder später wegen Überlastung aus. Wie können Arbeitgeber vorbeugen?

Flüter-Hoffmann: Sie können eine Unternehmenskultur schaffen, in der das Thema Pflege kein Tabuthema ist. Dafür reicht es meistens schon, im Mitarbeiterportal oder am Schwarzen Brett Informationen für pflegende Angehörige anzubieten. Hier bieten sich etwa die Informationsbroschüre zu den Pflegeleistungen vom Bundesgesundheitsministeriumoder die zur Familienpflegezeit vom Bundesfamilienministerium an. Auch ein Überblick über alle ambulanten Pflegedienste und Pflegeheime in der Region, Hinweise zu Fragen wie „Wo ist der nächste Pflegestützpunkt, wieviel Pflegegeld gibt es bei Pflegestufe I oder II, wie stelle ich Kontakt zum medizinischen Dienst her“ – zu ganz praktischen Dingen also – sind sinnvoll. Denn häufig kommt es ja ganz überraschend, und die Betroffenen fragen sich „Was sind denn jetzt die ersten Schritte?“.

Gibt es Erkenntnisse, wie viele Arbeitnehmer neben dem Beruf Angehörige pflegen?

Flüter-Hoffmann: Laut Statistischem Bundesamt werden von 2,6 Millionen „anerkannten“ Pflegebedürftigen 1,25 Millionen alleine durch ihre Angehörigen zu Hause versorgt. Das heißt aber nicht, dass nur 1,25 Millionen Angehörige pflegen. Oft gibt es ja ein Netzwerk: Da ist die Tochter, die pflegt, aber auch der Schwiegersohn oder eine Tante. Ergebnisse der Haushaltsbefragungen des Sozio-oekonomischen Panels zeigen, dass 5 bis 6 Prozent aller Erwachsenen regelmäßig solche informellen Hauptpflegepersonen sind. Das sind insgesamt ungefähr vier Millionen. Immerhin 60 Prozent davon sind im erwerbsfähigen Alter.

Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt der Zukunft?

Flüter-Hoffmann: Die Anzahl der Pflegebedürftigen wird sich in den nächsten 20 Jahren etwa verdoppeln. Der Anteil der jungen Leute, die pflegen können, dagegen nicht. Wir haben also noch mal einen rasanten Anstieg beim Fachkräftemangel: Die Jungen brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt. Stattdessen reduzieren immer mehr, gerade auch gut ausgebildete Frauen, ihre Erwerbstätigkeit, um Angehörige pflegen zu können. Dabei ist die Frauengeneration, die im Moment auf den Arbeitsmarkt geht, so gut ausgebildet wie noch nie.

Mit welchen Angeboten reagieren Arbeitgeber bereits heute, um pflegende Arbeitnehmer im Beruf zu halten?

Flüter-Hoffmann: Die häufigsten Angebote sind flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice und Freistellung von der Arbeit. In vielen Unternehmen gibt es außerdem Information und Beratung. Manche Unternehmen holen sich auch einen Fachanwalt ins Haus, der einen Vortrag zum Thema Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung hält. Inzwischen sind übrigens auch die Pflegekassen bereit, in die Unternehmen zu gehen und die Mitarbeiter zu beraten.

Aus welcher Motivation heraus bieten Arbeitgeber pflegefreundliche Maßnahmen an?

Flüter-Hoffmann: Es ist inzwischen sehr teuer und langwierig, neue Mitarbeiter zu holen. Unternehmen tun deshalb alles, dass gute Leute bei ihnen motiviert, produktiv und gesund arbeiten können. Die Mitarbeiter sind ein hohes Gut geworden. Gleichzeitig können Unternehmen nach innen und nach außen zeigen, dass sie ein attraktiver Arbeitgeber sind.

Vor welchen Herausforderungen stehen besonders kleine und mittlere Unternehmen?

Flüter-Hoffmann: Viele von diesen Unternehmen sagen, wir haben ja noch nicht mal eine richtige Personalabteilung, können also kein aufwändiges Personalkonzept erarbeiten. Und wir haben auch kein Intranet, in dem wir laufend Informationen anbieten können. Da sagen wir allerdings immer: Es gibt ganz günstige Möglichkeiten, die Mitarbeiter zu informieren und zu beraten, und es zeigt, dass der Arbeitgeber für das Thema sensibilisiert ist. Eine gute Möglichkeit für solche Unternehmen können Hochschulkooperationen sein. Also zum Beispiel Bachelorstudenten, die ihre Arbeit zum Personalmanagement in Unternehmen schreiben könnten. Dann kann das Unternehmen sagen, wunderbar, mach Du mir doch mit Deiner Bachelorarbeit mal ein Konzept zum Thema Pflege und Beruf, und der Bachelorstudent freut sich über ein solch interessantes Thema für seine Thesis. Auch bei Kammern oder Arbeitgeberverbänden gibt es Hilfe, zum Beispiel durch Informationsveranstaltungen oder Netzwerkprojekte.

Welche ganz konkreten Vorteile haben Unternehmen, die sich für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf engagieren?

Flüter-Hoffmann: Es ist es ein großer Wettbewerbsvorteil, durch eine mitarbeiterorientierte Personalpolitik Beschäftigte gewinnen und halten zu können. In unserem Personalpanel konnten wir nachweisen, dass die Unternehmen, die über alle Lebens- und Erwerbsphasen hinweg dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter motiviert, produktiv und gesund arbeiten können, wirtschaftlich erfolgreicher sind als Unternehmen, die dies nicht tun. Außerdem haben Unternehmen mit Pflegekonzepten tendenziell geringere Fluktuationsraten, geringere Fehlzeiten, eine hohe Arbeitgeberattraktivität und geringere Rekrutierungskosten – also echte finanzielle Vorteile.

Links zum Thema

  • Broschüre des Bundesfamilienministeriums: Vereinbarkeit von Beruf und Pflege – Wie Unternehmen Beschäftigte mit Pflegeaufgaben unterstützen können (2014) (zur Broschüre)
  • Informationen des Bundesjustizministeriums zum Thema „Betreuungsrecht“ und „Patientenrecht“ (mit Formularen für Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung (zu den Informationen)
  • Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes (zur Statistik)

Wir danken Frau Flüter-Hoffmann für das Gespräch.