Skip to content
Werkswohnung bis Umschulung: So gelingt die Fachkräftesicherung

Werkswohnung bis Umschulung: So gelingt die Fachkräftesicherung


Zuletzt aktualisiert: 21. März 2023

In Freising herrscht Fachkräftemangel. Aber was bedeutet das für KMU? Eine Reportage aus einer Region, die wirtschaftlich boomt – und die genau deshalb den Fachkräftemangel so deutlich spürt.

Fachkräfteengpässe in Deutschland: Für Unternehmen im Kreis Freising ist es schwierig, qualifizierte Mitarbeitende zu finden. 77,7 Prozent aller bei der Arbeitsagentur ausgeschriebenen Stellen richten sich im Jahr 2022 an Fachkräfte oder Spezialistinnen und Spezialisten. Die Andreas Karl GmbH & Co. KG in der Nähe von Freising hat verstanden, dass sie viel mehr tun muss, um den Personalbedarf dauerhaft zu sichern.

Beitrag teilen:

Der Kreis Freising und der Fachkräftemangel

Für Unternehmen im Kreis Freising ist es besonders schwierig, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. 

Andreas Bräutigam, stellvertretender Bereichsleiter der Arbeitsagentur in Freising

Wir gehen davon aus, dass sich die Fachkräftesituation durch die Digitalisierung in den kommenden Jahren eher verschärfen wird. Durch die Digitalisierung geht der Trend zur Höherqualifizierung. Es ist unsere Aufgabe, sowohl Arbeitslose für die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt gezielt zu qualifizieren, als auch Betriebe bei der Weiterbildung ihrer Beschäftigten zu begleiten.

Andreas BräutigamBereichsleiter der Arbeitsagentur in Freising

Was tun bei Fachkräftemangel im Unternehmen?

Die Andreas Karl GmbH & Co. KG liegt in Fahrenzhausen, einer Gemeinde mit 4.600 Einwohnern, etwa 20 Autominuten von der Arbeitsagentur in Freising entfernt. Das Familienunternehmen existiert seit 1935. Der Großvater bot seine Dienste als Elektroinstallateur an, der Vater stieg in die Blech- und Stahlverarbeitung ein und spezialisierte das Unternehmen auf die Herstellung von Arbeitsplatzsystemen für Industriebetriebe. Andreas F. Karl ist einer von vielen Unternehmern in Freising, der längst verstanden hat, dass es nicht ausreicht, die Hände in den Schoß zu legen und auf Angebote der Arbeitsagentur zu warten. Vor allem der Bedarf an Konstruktionsmechanikern und Ingenieuren ist schwer zu decken. „Ich bin sehr zufrieden mit der Agentur hier vor Ort“, betont er. „Die Online-Jobsuche der Arbeitsagentur hat eine hohe Reichweite im gesamten Bundesgebiet. Das ist gut für uns – gleichzeitig merken wir, dass wir selbst viel mehr tun müssen, um unseren Bedarf an Arbeitskräften dauerhaft zu sichern.“

Fachkräfte selber ausbilden

Das Ringen um die besten Mitarbeitenden fängt schon beim Nachwuchs an. „Wer kann es jungen Menschen verübeln, wenn sie von einer Ausbildung bei BMW träumen?“, sagt er. Aber dieser starken Konkurrenz eines weltweit bekannten Konzerns muss sich der Mittelständler stellen, um zukunftsfähig zu bleiben. Von den 170 Mitarbeitenden sind mittlerweile 10 Prozent Auszubildende. „Für uns bedeutet Fachkräftesicherung vor allem, dass wir so früh wie möglich Kontakt zu Schülerinnen und Schülern aufnehmen, sie von den Vorzügen unseres Unternehmens überzeugen und nach der Ausbildung auch versuchen zu halten“, sagt Karl.

Karl kooperiert deshalb mit mehreren Schulen und stellt sich dort regelmäßig vor. Das Unternehmen geht auf Ausbildungsmessen, bietet Schülerpraktika an und motiviert die Mitarbeitenden, im Freundes- und Bekanntenkreis um neue Auszubildende zu werben. „Auf die Empfehlungen der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist in der Regel Verlass“, sagt er.

Werkswohnungen für Fachkräfte

Vom beschaulichen Fahrenzhausen aus beliefert das Unternehmen weltweit Kunden aus der Industrie mit ihren technischen Arbeitsplatzsystemen. Die Umsätze schießen seit Jahren in die Höhe. 2015 hat das Unternehmen eine neue, 1.200 Quadratmeter große Werkshalle bauen lassen. Folgt man Andreas F. Karl durch diese Werkshalle zum Hinterausgang, zeugt ein Riegel von Reihenhäusern von der Tatsache, dass er nicht der erste in der Firmengeschichte ist, der sich mit dem Thema Fachkräftesicherung auseinandersetzt. „Meine Vorgänger haben diese Häuser schon in den 1970er Jahren bauen lassen, um Arbeiter aus der weiteren Region anzuwerben. Auch damals war die Firma auf Wachstumskurs. Auch damals brauchten wir gute Leute, die die Produktion stemmen.“

Die Vergabe der Reihenhäuser regelt Andreas Karl heute über eine Warteliste – so beliebt sind die Immobilien. Die Häuschen grenzen direkt an die Werkshalle. Sedik Izahan wohnt hier. Wenn er wollte, könnte er von dem kleinen Garten hinter dem Haus die Kolleginnen und Kollegen beim Arbeiten beobachten – Fenster geben den Blick auf die Arbeitsplätze frei, an denen gestanzt, gekantet, geschweißt und montiert wird. „Ich mag die Nähe zu meinem Arbeitsplatz“, sagt er. Vor dem Umzug in das Werkshaus ist Sedik Izahan von München aus gependelt. Jetzt schlendert er morgens vom Frühstückstisch zur Werkshalle. „Für die Kinder ist ein Haus mit Garten einfach klasse“, sagt er. „Wir fühlen uns als Familie viel freier als in der Großstadt. Die Kinder können einfach draußen spielen – das ist toll.“

Was tun, wenn es den perfekten Bewerber nicht gibt?

„Bezahlbarer Wohnraum ist im Kreis Freising ein riesen Thema, wenn es darum geht, Fachkräfte zu rekrutieren“, meint auch Andreas Bräutigam, Bereichsleiter der Agentur für Arbeit Freising. „Die Mieten für eine familiengerechte Wohnung sind für Facharbeiter hier vor Ort kaum zu bezahlen.“ In zehn Jahren könne sich das ändern, wenn die staatlich geplanten Programme für öffentlich geförderten Wohnraum greifen – und bis dahin? „Schon jetzt ist unser erstes Ziel, die Menschen aus der Region fit für die Anforderungen der Betriebe zu machen, statt Menschen aus der Ferne zu rekrutieren, die erstmal auf Wohnungssuche gehen müssen“, erklärt Bräutigam.

77,7 Prozent aller bei der Arbeitsagentur gemeldeten Stellen richteten sich im Jahr 2022 an Fachkräfte, Spezialistinnen und Spezialisten – in den unterschiedlichsten Berufsbereichen. „Wir merken zudem, dass Stellen immer häufiger auch über einen längeren Zeitraum nicht besetzt werden können“, sagt Bräutigam. Die von den Unternehmen nachgefragten Qualifikationen seien nicht in vollem Umfang bei den Bewerbenden vorhanden. „Digitalisierung, Dekarbonisierung und Energiewende tragen dazu bei, dass sich berufliche Anforderungen kontinuierlich verändern. Ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit ist deshalb die zielgerichtete berufliche Qualifizierung von Arbeitslosen, aber auch von Beschäftigten in Unternehmen."

Natürlich gebe es auch Programme zur Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland. Weitaus häufiger fördere die Arbeitsagentur betriebliche Ausbildung von Erwachsenen. „Wir unterstützen Erwachsene, die bisher keine Ausbildung gemacht haben oder die mehr als vier Jahre als Helfende beschäftigt waren, eine betriebliche Erstausbildung oder eine Umschulung zu beginnen.“ Basis dafür ist das Qualifizierungschancengesetz, das Förderungen für zahlreiche Berufsgruppen ermöglicht. So werden Ausbildungen zu staatlich geprüften Kinderpflegerinnen und -pflegern ebenso unterstützt wie Ausbildungen im Handwerk oder zu Berufskraftfahrenden.

Ein wichtiger Baustein, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten, ist zudem die Ausbildung von Jugendlichen. Deshalb appelliert Bräutigam an die KMU, in ihrer Ausbildungsbereitschaft nicht nachzulassen und Bewerbenden eine Chance zu geben, auch wenn auf den ersten Blick nicht alles passt. „Mithilfe von Angeboten wie der Assistierten Ausbildung können wir Jugendliche mit mehr Unterstützungsbedarf erfolgreich zum Ausbildungsabschluss begleiten“, sagt Bräutigam. „Zudem kann es ein großer Gewinn sein, sich auch für ältere Azubis oder die Ausbildung von Müttern in Teilzeit zu öffnen.“

Wer neue Mitarbeitende aus der Ferne nicht mit günstigem Wohnraum locken kann, muss andere Wege gehen. Im Kreis Freising scheinen Arbeitsagentur und Unternehmen sich darin einig zu sein. Sie haben sich längst darauf eingestellt, dass der Fachkräftemangel in ihrer Region nicht so schnell verschwinden wird und setzen bei der Fachkräftesicherung daher auf mehrere Maßnahmen.

Zur Unternehmenswebseite